Ökosex
Stell dir vor, es ist ein wunderbarer Sommertag und du liegst nackt im warmen Sand an einem Waldsee. Außer dir ist keiner da. Du bist ganz alleine und kannst dich auf das konzentrieren, was gerade ist.
Das goldene Licht des späten Nachmittags zeichnet die Konturen der Bäume weich. Einzelne Strahlen fallen durch die Blätter auf den Boden und umspielen auch deine Haut. Ein weißer Schmetterling setzt sich auf dein linkes Knie. Ein leichter Wind streicht sanft über deine Haare und lässt die kleinen, weichen Flugschirme der Pusteblumen für einen Moment über dir tanzen, bevor er sie weiterträgt. Ab und zu kitzelt dich eine. In der Ferne lockt der Ruf eines Grünspechts und ein Rotkehlchen zwitschert nahe deinem Ohr. Dazu das gleichmäßige Plätschern des ruhigen Sees. Der Wald um dich herum duftet würzig und das blühende Gras frisch. Du drehst dich auf den Bauch, lässt die Sonne deinen Rücken wärmen und bewegst dich leicht hin und her, so dass dein Körper in den Sand hineinsinken kann. Du atmest ein und lange wieder aus.
Da fängt es an zu kribbeln. Auf einmal wird alles intensiver. Als wären die Regler hochgedreht. Die Farben leuchten bunter, die Töne sind lauter, die Düfte stärker, die Berührungen so echt! Die Sonne küsst dich, die Luft streichelt dich, der Sand schmiegt sich an dich. Die Vögel verführen dich mit ihren Liedern. Der Duft der Erde betört dich. Die Bewegungen deines Körpers werden fließender, sie entstehen aus deinem Zentrum, aus deinem Schoßraum heraus. Deine Hände wühlen sich in deine Haare, wandern unter deinen Körper, entlang bis zu deinem sich stetig bewegenden Becken. Du presst deinen Venushügel in deine Hand und schiebst dabei einen Finger in die feuchte Öffnung deiner Vagina. Du öffnest auch deinen Mund, atmest weiter tief ein und aus, lässt alles in dich hineinströmen und gibst dich hin. Während die Wellen deines Körpers immer stärker werden, dein Atem schneller und das Kribbeln in deiner Vulvina intensiver, entweichen deinem Inneren einzelne Töne, ein Schluchzen, ein Stöhnen, kleine Schreie, die gemeinsam mit den Vogelstimmen ein Konzert ergeben. Du fühlst, wie sich die Grenzen deines Körpers erweitern, wie das Kribbeln in dir immer mehr Raum einnimmt, über diesen Platz am See hinaus, über dieses Land hinaus, über die Erde hinaus … und du wirst endlich eins mit dem Universum.
Schon mal erlebt? Dann sei willkommen im Kreise derer, die die Erde lieben und verehren. Vielleicht kennst du es auch ein wenig anders. Vielleicht hast du erlebt was für ein inniges Gefühl, welch eine Mischung aus Erregung und Geborgenheit entstehen kann, wenn du nackt einen mächtigen Baum umarmst. Oder welch eine wunderbare Möglichkeit der Hingabe es sein kann, im fließenden Wasser der Natur deine eigenen Quellen aus dir heraus sprudeln zu lassen. Und was für eine Ekstase der Freiheit und Leichtigkeit, sich nackt in weichem Schnee zu wälzen! Der Vielfalt ist auch hier keine Grenze gesetzt. All das kann Ökosex sein. Und noch viel mehr!
Annie Sprinkle, Sexeducator und Pionierin, die den Begriff Ökosex geprägt hat, nennt diese Art der Selbstliebe „Medibation“, eine Kombination aus „Masturbation“ und „Meditation“. In einem ihrer Videos beschreibt sie das so: „Ich habe das Gefühl, dass ich meditieren muss. Es ist meine spirituelle Pflicht so viel Freude, Ekstase und Orgasmen in diese Welt zu bringen, wie ich nur kann. Denn es gibt so viel Schmerz, Leid und Traurigkeit. Es ist meine Aufgabe, meine Berufung, auf diese Weise zu meditieren. … Ich fühle mich nie wirklich alleine, wenn ich masturbiere. … Ich fühle mich, als würde ich mit dem Universum Liebe machen.“
Aber auch abgesehen von diesem schönen Gedanken auf diese Weise die Welt zu verändern, und auch wenn du etwas in dieser Art noch nicht erlebt hast, kann die Natur für dich eine wunderbare Ressource sein. Eine Möglichkeit, deine Sinne zu öffnen für die vielfältigen Eindrücke und dabei ganz im Hier und Jetzt, mit dir und deinem Körper anzukommen.
Die Sinneseindrücke aus der Natur sind uns selten zu viel. Sie überfordern uns nicht, wie unser selbst gemachtes menschliches Alltagsleben, mit oft grellem Licht, Lärm, einem Gemisch aus Gerüchen und zu wenig Raum für unsere Körper. Alleine in der Natur hast du unendlich viel Raum, unendlich viel Zeit. Dein Nervensystem kann sich beruhigen, eine Langsamkeit darf sich einstellen, und deine Wahrnehmung wird feiner, wenn du dich darauf konzentrierst welcher Vogel welches Lied singt, wenn du das Gewicht des Schmetterlings spürst, der sich auf dich setzt oder die Wärme des Bodens unter dir.
Auch wenn du zu Hause keinen Raum hast für dich alleine, um dich in der Selbstliebe zu üben, hat die Natur immer Platz für dich. Selbst wenn es nur ein Park in deiner Nähe ist und du Angst hast, dort gesehen oder gestört zu werden, probiere es mal aus! Es muss ja nicht gleich heißen, dass du dich nackt in den Sand legst. Auch angezogen, auch ohne Berührung, nur über die Wahrnehmung deiner Sinne, deiner Atmung, das Lenken deiner Aufmerksamkeit auf bestimmte Bereiche deines Körpers, kannst du in der Natur dein erotisches Selbst entdecken und genießen. Setz dich in einem Park mit dem Rücken an einen Baum, ins Gras. Lass die Menschen an dir vorbeispazieren und denken, du ruhst dich aus. Dabei bist du ganz wach und machst gerade Liebe mit dem Universum!