
Das ist unser vollständiges Interview mit Nici und Benjamin zu den Auszügen, die du im Orgasmic Parents Buch finden kannst.
Nici
Alter: 36
Anzahl und Alter Kinder (inkl. Sternenkinder): 1 Kind: 3 Jahre
Das war meine erste Schwangerschaft, meine einzige und wird wahrscheinlich auch meine letzte bleiben.
Beziehungsstatus (während Schwangerschaft / jetzt):
Da waren wir zusammen und sogar auch verheiratet. Obwohl das eigentlich gar nicht so wichtig ist. Wir sind halt verheiratet, aber vor allem sind wir zusammen.
Und wart ihr da in einer monogamen Beziehung oder wie ist so euer Beziehungsstatus?
Also zu dem Zeitpunkt, wo wir unser Kind gezeugt haben und ich schwanger war, waren wir auf jeden Fall in einer monogamen Beziehung. In den letzten Jahren hat sich das aber bei uns verändert, weil mein Partner bisexuell ist – und dadurch funktioniert Monogamie einfach nicht mehr so richtig, weil ich ihm sonst einen großen Teil seines Bedürfnisses absprechen würde.
Schon bevor wir unser Kind bekommen haben, gab es immer wieder Phasen, in denen wir auf der Suche waren, was eigentlich unsere Form von Beziehung ist. Und ich glaube, mittlerweile sind wir bei etwas angekommen, wo wir sagen würden: soziale Monogamie – also wir beide sind der Kern der Sache. Aber was das Sexuelle betrifft, da sind wir offen. Jeder darf das ausleben, was er möchte.
Der praktische Umsetzungsgrad ist aber gerade wieder eher sehr monogam. Wir sind im Moment einfach in einer geschlossenen Phase, weil wir uns gerade nochmal suchen, finden, stabilisieren – und dann eben auch wieder öffnen wollen.
Wie war eure Wohnsituation? Also vor allem, gab es genug Raum? Ihr zieht ja jetzt um. Wie war es zur Schwangerschaft?
Mein Partner und ich haben eigentlich immer, und das hat uns auch richtig gutgetan, in einem WG-Modell gewohnt. Also: jeder hatte ein eigenes Zimmer für sich. Wir haben eine Zwei-Zimmer-Wohnung, und als unser Kind kam, hat sich das dann verändert – da sind wir zu-sammen in das große Zimmer gezogen.
Ob das genug Raum war? Ich glaube, am Anfang ist das gar nicht so wichtig, weil ja eh immer einer beim Kind ist. So konnte sich der andere in den zweiten Raum zurückziehen. Aber in den letzten anderthalb bis zwei Jahren hat sich ziemlich klar gezeigt: Wir brauchen eigentlich drei Türen – also jeder braucht einen Raum, den er hinter sich zumachen kann.
Das ist jetzt wieder der Fall, und das ist für uns total wichtig – gerade für unsere Beziehung und deren Gelingen. Mein Partner hat ein großes Bedürfnis nach Autonomie, ich nicht ganz so sehr, aber auch ich brauche definitiv auch meine Rückzugsräume.
Wir hatten zum Glück auch immer noch den Garten, das war so ein Ausweichort – unser dritter Raum quasi. Aber das ging natürlich nicht immer. Deshalb: Jeder einen eigenen Raum zu haben, ist bei uns eine ganz wichtige Grundlage – für alles. Auch einfach für die generelle Grundstimmung.
Wie war eure Arbeitssituation während der Schwangerschaft?
Ich war damals Lehrerin – und weil das noch in der Corona-Zeit lag, bin ich ins Präsenzverbot gekommen. Das hieß: Ich durfte keine Schüler*innen mehr sehen, habe von zu Hause aus gearbeitet und Materialien zur Verfügung gestellt. Das war für mich eigentlich total entspannt, weil da, glaube ich, schon die ersten Vorboten kamen, dass das mit dem Lehrerinnen-Dasein für mich nicht mehr so richtig passt – dass es viele Dinge gibt, die nicht mit meinen Werten konform gehen.
Insofern war die Schwangerschaft für mich eigentlich eine total schöne Zeit. Bis auf das erste Trimester – das war richtig schlimm für mich. Ich hab’s zu dem Zeitpunkt in der Schule bzw. auf der Arbeit noch nicht gesagt, und mir ging’s richtig schlecht.
Aber ab dem Moment, wo ich es kommuniziert habe, wo klar war: Ich bin schwanger – und dann auch direkt rausgekommen bin aus dem Schulalltag – ab da ging es mir schlagartig wunderbar.
Ich war dann abgesichert und habe zwei Jahre Elternzeit genommen. Mein Partner hat auch versucht, so viel wie möglich von dieser Elternzeit mitzunehmen. Weil er selbstständig ist, konnten wir die ersten anderthalb Jahre eigentlich fast komplett gemeinsam machen.
Klar, zwischendurch hat er mal ein Projekt gemacht – er arbeitet im Theater oder hat zumindest damals Theater gemacht – dann war er mal für ein paar Tage oder eine Woche auf Gastspiel. Und bei einer großen Produktion war er auch mal einen Monat weg. Aber insgesamt haben wir die Elternzeit wirklich viel gemeinsam verbracht.
Wolltest du schon immer Kinder haben und Mutter sein? Was hattest du dazu für Vorstellungen?
Also ja, ich wollte auf jeden Fall Mutter sein. Ich komme aus einer… früher hätte ich gesagt: aus einer harmonischen Takatuka-Familie. Heute weiß ich, dass da nicht alles immer fein war.
Aber ich wollte eigentlich immer Mutter sein, wollte immer Kinder haben – mein Partner auch. Da haben wir uns wirklich immer getroffen. Das war bei uns nie ein Diskussionsthema. Die einzige Frage war eigentlich immer nur: Wann?
Und da waren wir beide sehr ähnlich. Wir waren immer so: “Ach, lass vorher noch das machen – und das machen – und dahin reisen – und das ausprobieren…” Und deswegen wurde es dann einfach ein bisschen später.
Was die Vorstellungen dazu angeht: Ich glaube, die waren definitiv nicht realistisch. Rückblickend würde ich sagen, mir haben in meinem Freundeskreis total die Leute gefehlt, die so eine realistische Vorstellung von Elternschaft vermitteln konnten.
Wir waren die ersten im Freundeskreis, die ein Kind bekommen haben – das heißt, wir hatten einfach keine Referenzwerte. Und das ist schon schwierig. Das letzte Baby in meiner Familie – da, wo ich herkomme – war zu dem Zeitpunkt auch irgendwie schon zwölf oder so. Das heißt, ich habe auch aus meiner Familie nicht wirklich Erfahrungen mit Kleinkindern mitgebracht.
Klar, man hört immer so dies und das, es gibt so viel Hörensagen. Aber wenn es um konkrete Vorstellungen geht: Ja, ich hatte welche – aber die hatten nichts mit der Realität zu tun.
Was war denn die Vorstellung?
Ach, ich dachte schon, dass es auf jeden Fall auch anstrengend sein kann – aber dass man das irgendwie wuppt. Ich hatte da so ein bisschen diese Haltung: Ja klar, wird herausfordernd, aber das kriege ich schon hin.
Und ich bin ja Pädagogin – Ich hatte meine ganz klaren Pläne, wie ich das mit der Erziehung machen will, wie das so laufen soll. Also wirklich so: Das und das sind meine Werte, so und so wird das dann ablaufen.
Und der Clash mit der Realität? Ja, das war auf jeden Fall eine… lustige Erfahrung – eine herausfordernde Erfahrung.
War das bei dir so ein „Ich will auf jeden Fall ein Kind“-Gedanke? Du hast ja vorhin gesagt, das ist dein erstes und wahrscheinlich auch dein letztes Kind. Gab es da früher ein anderes Bild?
Ja, das hat sich auf jeden Fall verändert. Ich wollte eigentlich schon immer zwei Kinder. Also ich hatte zumindest den Wunsch, dass das eine Kind ein Geschwisterchen bekommt.
Aber die Erfahrung des Kindkriegens, das Wochenbett, die Jahre danach – und auch einfach eine realistische Betrachtung davon, wie wir so leben und was wir uns leisten können – das alles hat dazu geführt, dass wir jetzt, also ich, aber auch mein Partner, wirklich in Frieden da-mit sind, dass es bei einem Kind bleibt.
Wir haben beide gesagt: Ja, es wäre schön gewesen. Aber es ist auch völlig in Ordnung so. Und eins ist auch ganz toll. Das, was wir haben – unser Kind – ist einfach super. Und es reicht.
Ich glaube, mein Partner hätte sogar gerne mehr Kinder gehabt. Er kommt aus einer großen Familie mit vier Kindern. Aber da hab ich irgendwann gesagt: Nee, das ist mir zu viel. Jetzt fühlt es sich richtig an, so wie es ist.
Und war das Kind dann ein Wunschkind und geplant?
Ja, das war ein Wunschkind und geplant – aber es war tatsächlich gar nicht so einfach. Wir haben auch eine ganze Weile auf unser Kind gewartet. Und das war definitiv, auch wenn man jetzt mal den Bogen zum Thema Sexualität spannt, ein ziemlich großer Einschnitt für mich – an ganz vielen Stellen.
Ich habe lange die Pille genommen, die dann irgendwann abgesetzt – und das Gefühl gehabt, das hat so alles auf den Kopf gestellt. Also wirklich so: Kein Stein stand mehr auf dem anderen. Natürlich ist das jetzt nicht wissenschaftlich belegt, man weiß es nicht genau – aber für mich hat es sich einfach so angefühlt.
Es hat dann ein Jahr lang auf natürlichem Wege nicht geklappt. Und bei mir wurde schließlich festgestellt, dass ich PCO habe – also das polyzystische Ovarialsyndrom. Bei mir war das nicht besonders stark ausgeprägt, aber eben doch so, dass es erstmal nicht gereicht hat, um schwanger zu werden.
Dann sind wir in eine Kinderwunschbehandlung gegangen. Und es ging eigentlich dann relativ schnell – ich musste nur eine Hormon-Tablette nehmen, die den Hormonspiegel einmal künstlich absenkt, damit der Körper den dann wieder selbst hochreguliert. Und damit hat es dann auch super funktioniert.
Aber die ganze Art und Weise, wie das alles ablief – auch, wie mit mir gesprochen wurde – das hat mich sehr getroffen. Dass einem da gesagt wird: “Ja, da ist jetzt keine Eizelle”, oder: “Sie sind nicht produktiv” – das hat mich total aus der Bahn geworfen. Ich habe mich als Frau irgendwie nicht mehr funktional gefühlt.
Ein ganz zentraler Punkt meines Selbstverständnisses – dieses: Ich bin eine Frau, ich kann Leben in mir tragen, ich bin schöpferisch – der ist mir da richtig weggebrochen. Das hat mir damals echt den Boden unter den Füßen weggezogen.
Und gleichzeitig war genau das dann auch das, was ich in der Schwangerschaft so stark gespürt habe – diese Kraft, dieses Weiblichsein im ganz ursprünglichen Sinn. Die Schwangerschaft war für mich die schönste Zeit überhaupt.
Aber dass es eben nicht einfach so ging – dass der Körper da nicht “einfach funktioniert” hat – das war auf jeden Fall ein krasser Punkt.
Aber es könnte schon sein, dass das durch die Pille entstanden ist, oder?
Genau, das weiß man halt nicht. Es kann genetisch veranlagt sein – es gibt da verschiedene Theorien. Manche sagen, es wird vererbt. Und es gibt sogar Evolutionsbiologen, die behaupten, das mache evolutiv gesehen total Sinn: Dass Frauen irgendwann PCO entwickeln, um eben nicht 13 Kinder zu bekommen und dann nach dem 13. zu sterben – weil man ja durch PCO irgendwann unfruchtbar wird. Also, dass das vielleicht sogar eine Art natürlicher Schutzmechanismus ist.
Dann gibt es aber auch Theorien, die sagen, dass das durch das langjährige Pillenehmen begünstigt wird. Ich hab die, glaub ich, 12 oder 13 Jahre genommen – und da werden die Follikel ja ständig zurückgehalten. Bei manchen sammeln die sich dann einfach an, und das kann dann so ein PCO-Bild ergeben.
Bei mir sind die Follikel zum Beispiel inzwischen auch alle wieder weg. Aber man kann eben nicht sagen, ob das jetzt daran liegt, dass ich meine Ernährung und meine Lebensweise umgestellt habe – oder weil ich die Pille nicht mehr nehme.
Nichts Genaues weiß man nicht. Die Forschung ist da auch noch nicht so richtig weit.
Du hast schon gesagt, die Schwangerschaft selbst war für dich total schön. Wie hast du dich in dieser Zeit gefühlt – so in Bezug auf Frausein, Lebendigkeit, sexy sein? Magst du da noch ein bisschen mehr erzählen?
Ja, auf jeden Fall. Nachdem die ersten Wochen mit dieser fürchterlichen Übelkeit vorbei waren, habe ich mich in meinem Körper noch nie so wohl gefühlt. Ich war zufrieden, im Einklang mit mir. Natürlich hatte ich die üblichen Schwangerschaftsbeschwerden, aber die haben mich gar nicht ge-stört. Ich war viel aktiv, habe mich bewegt – am Tag der Geburt stand ich noch im Garten und habe Erbsensamen in die Erde gesteckt. Ich habe mich richtig in meiner Schöpferkraft gefühlt.
Vorher habe ich oft mit meinem Körper gehadert. In der Schwangerschaft hat das keine Rolle mehr gespielt. Das war ein super Zustand.
Und wie war dein sexuelles Verlangen in den verschiedenen Phasen der Schwangerschaft?
Im ersten Trimester – tote Hose. Da ging gar nichts, wegen der Übelkeit. Aber im zweiten und drit-ten Trimester hatte ich total Lust. Ich war voller Energie, hatte total Bock.
Das war bei meinem Partner anders. Er hat irgendwann Bedenken bekommen, sich Sorgen gemacht. So diese typische Dynamik: Ich wollte, ich habe Lust gehabt, habe gezogen. Und er war so: Ach ja, ich weiß und ich möchte irgendwie auch, aber irgendwie geht das gerade nicht.
Würdest du sagen, du hattest in diesen Phasen sogar mehr Lust als vorher?
Ja, ich würde sagen: bei mir korreliert das halt total. Wenn ich mich mit mir und meinem Körper gut fühle, dann bin ich auch ein lustvoller, genussvoller Mensch. Also kann man das schon auf die gleiche Ebene setzen mit Phasen in meinem Leben, wo das genau so war – auf jeden Fall.
Wenn man es jetzt mit der Kinderwunschphase vergleicht, dann auf jeden Fall eine tausendprozentige Steigerung. Weil da war Sex einfach immer so ergebnisorientiert. Ich hatte ja immer ein Ziel vorher, irgendwie. Und es war natürlich auch durch dieses Pilleabsetzen und dieses Gefühl, ich kann nicht schwanger werden, ich habe mich da so als Mängelwesen betrachtet.
Das hat natürlich nicht dazu geführt, dass ich mich total sexy gefühlt habe. Sondern eher so immer über mir gekreist bin und diese Situation beobachtet habe und gemerkt habe, dass das einfach alles für mich gar nicht mehr stimmt.
Das war auf jeden Fall eine schwere Phase und die Schwangerschaft war da im Vergleich eine total tolle Phase.
Du hast schon ein bisschen erzählt, dass dein Partner auch Bedenken bezüglich Sex während der Schwangerschaft hatte. Hattest du irgendwelche Bedenken oder waren da besondere Hausherausforderungen in der Schwangerschaft für dich?
Nö. Da bin ich ganz dankbar. Da bin ich Biologie-Lehrerin und weiß genug. Also da hilft mir dieses Wissen, dass da nichts passieren kann. Und das Einzige, was die Schwierigkeit war, war ja dann irgendwann vielleicht doch, dass ich jetzt nicht mehr einen Spagat machen konnte oder so. Also wenn da bestimmte Sachen dann einfach nicht mehr gingen. Aber da gibt es ja kreative Lösungen.
Hattet ihr beide oder du für dich eine kreative Lieblingslösung?
Tatsächlich, ich glaube, im Geburtsvorbereitungskurs.
Das war ganz witzig. Das war so ein Online-Kurs, weil ja auch Corona war. Da sollten wir so eine Kreuzbein-Massage machen.
Da sitze ich so auf allen Vieren auf so einem Sitzpouf. Und mein Partner hat so hinter meinem Po mein Kreuzbein massiert. Und das hat sich dann herausgestellt, dass es definitiv für alle die schönste und entspannteste Position war.
Da haben wir dann einfach kurz die Kamera von unserem Geburtsvorbereitungskurs ausgemacht.
Wie hat denn dein Partner sonst noch auf die Veränderung deiner Sexualität während der Schwangerschaft reagiert?
Ich glaube, überwiegend war das total schön. Ich kann mich noch daran erinnern, dass er mich einfach wahnsinnig oft angeguckt hat und gesagt hat: „Du siehst gerade so toll aus. Du strahlst da gerade so tolle Energie aus.“ Das ist auch etwas, was ihn sowieso total anzieht, wenn so jemand einfach so strahlt. Er hat das genossen. Ich habe das zumindest immer so empfunden.
Auch in den Momenten, wo er gesagt hat, es ist für ihn komisch mit mir sexuell zu sein, fand ich das eigentlich meistens nur frustrierend. Ich verstehe, dass da in seinem Kopf einfach diese Angst ist. Die ist halt einfach da.
Du bist Biologielehrerin, aber gab es trotzdem mit deinem Arzt oder deiner Hebamme Gespräche während der Schwangerschaft über deine Sexualität? Gab es irgendwie Ratschläge?
Nö. Der einzige Ratschlag war so gegen Ende der Schwangerschaft, dieser Tipp: Wenn ihr wollt, dass die Wehen dann langsam mal anfangen, gibt es die Möglichkeit, dass ihr Sex habt.
Und dass die Prostaglandine, glaube ich, im Sperma das ein bisschen fördern können. Was wir auch gemacht haben, hat auch geklappt.
Und die Geburt selbst? Wie hast du die für dich so empfunden?
Du hast ja schon von der Schöpferkraft gesprochen. Konntest du die da besonders stark wahrnehmen?
Die Geburt war super.
Also ich hatte vorher auf jeden Fall richtig Schiss. Das weiß ich noch. Man kriegt ja dann immer diese apokalyptischen Reitereltern, die dir diese ganzen Horrorgeschichten erzählen. Und eigentlich sind die ja gar nicht für dich gedacht – die verarbeiten da ja ihre eigenen Traumata. Aber es gab schon eine Phase, wo ich echt ein bisschen Angst hatte.
Und dann bin ich durch so einen Punkt gegangen, wo ich gesagt habe: okay, ich kriege das hin. Mein Körper weiß, wie das geht. Das ist Jahrtausende, Jahrhunderttausende lang passiert, ohne Krankenhäuser und ohne das ganze Gedöns. Klar, manchmal geht etwas schief, aber dafür gibt es ja jetzt Hebammen.
Wir waren auch im Geburtshaus, weil ich das unbedingt wollte. Für mich war klar: ich brauche einen Ort, an dem ich mich wohlfühle und dann dadurch auch sicher.
Und ich war selber überrascht von mir. Normalerweise bin ich ein total verkopfter Mensch. Ich muss alles vorher durchdenken, lesen, informiert sein. Aber die Geburt war ein Erlebnis, bei dem ich plötzlich einfach die Kontrolle abgeben konnte. An mich selbst, komischerweise. Ich habe irgendwie gesagt: okay, da ist in mir etwas, das weiß, wie es geht. Ich lasse das jetzt einfach machen. Ich höre auf das, was mein Körper mir sagt, und folge dem.
Und genau deswegen war es ein total cooles Erlebnis. Ich dachte danach: ich habe es geschafft. Ich habe es hingekriegt. Ich war richtig stolz auf mich.
Es ging auch für eine Erstgeburt relativ schnell. Wir mussten zweimal zu der Hebamme sagen: „Du musst jetzt wirklich kommen, mach dich mal auf den Weg.“ Und sie meinte noch: „Nehmt euch Zeit, ich gehe kurz raus.“ Dann bin ich einmal kurz in die Badewanne gegangen – und sofort wieder raus, weil ich gemerkt habe: nee, das ist nicht mehr der richtige Ort.
Und dann ging alles recht fix. Ich habe es als sehr empowernd empfunden. Genau diese Schöpferkraft, die habe ich da gespürt.
Ja, voll schön.
Und dann nach der Geburt, hat sich deine Beziehung zu deinem Partner geändert? Und da eben insbesondere in Bezug auf Intimität und Sexualität?
Ja, auf jeden Fall. Also da fing ja erst mal der Wahnsinn mit dem Wochenbett an. Und das war bei uns definitiv die nicht so schöne Phase. Das war richtig schwierig.
Wir hatten auch nicht wirklich Vergleichsmöglichkeiten, weil wir keine Freunde hatten, bei denen wir uns mal Rat holen konnten. Wir hatten zwar unsere Hebamme, die immer kam, aber trotzdem. Es gab einfach relativ viele Schwierigkeiten mit dem Stillen. Und das hat diese ersten drei Monate, diese zwölf Wochen, so geprägt, dass es wirklich ein Ausnahmezustand war. An Sexualität war da überhaupt nicht zu denken.
Ich hatte zwar nur einen leichten Dammriss, ersten Grades, der super verheilt ist. Also körperlich war es eigentlich gar nicht unbedingt das, was im Weg stand. Sondern es war wirklich dieser Wahnsinn, diese permanente Unsicherheit: kriegt das Kind genug? Ist es zu wenig Milch, ist es genug Milch? All diese Fragen.
Wir haben uns da echt durchgekämpft. Und deswegen war in dieser Zeit Sexualität überhaupt kein Thema.
Das hört sich trotzdem so an, dass es eine andere Art von Intimität ist – die ihr dann als Paar mit dieser Herausforderung der Unsicherheit und der Frage „Wie geht es weiter?“ erlebt habt.
Ja, man ist ja irgendwie mit dem Partner so Leidensgenosse. Das verbindet ja auch- diese Zweifel, diese Sorgen. Es gab auf jeden Fall Momente, gerade in diesem Baby-Blues, wo es mir psychisch nicht mehr so gut ging. Mit dem Schlafmangel und allem wurde es für mich echt schwierig. Und da wurde es definitiv auch für unsere Beziehung schwierig. Mein Partner hat immer versucht, das für mich mitzuhalten. Aber ich glaube, das ging ihm auch ganz schön an die Substanz.
Und trotzdem, wenn das gerade nicht so war, dann war es einfach fein. Muckelig. Nah.
Hattest du das Gefühl, dass der Alltag mit dem Baby deine Lust auf Sex beeinflusst hat? Und wenn ja, wie?
Und kannst du dich erinnern, wie es dann so war nach den ersten drei Monaten, von denen du jetzt schon erzählt hast?
Also als sich alles so ein bisschen eingeruckelt hatte, kam die Lust wieder. Die kam bei uns beiden so schlagartig wieder. Das ist mir neulich eingefallen, als ich darüber nachgedacht habe.
Da gab es diesen Termin bei meiner Gynäkologin, wo ich gesagt habe, ich würde gerne mal ein nicht-hormonelles Verhütungsmittel ausprobieren. Dann haben wir uns für die Kupferspirale entschieden. Und ich weiß noch, wie wir gesagt haben: „Okay, wir warten mit dem Sex bis zu dem Termin, wo die Spirale gesetzt ist.“
Und dann haben wir uns auch beide total darauf gefreut. Aber wir haben es dann natürlich nicht ausgehalten – es passierte vorher schon. Also da gab es so eine Phase, wo diese Talsohle des Wochenbettes durchschritten war, wo es ein bisschen besser wurde, wieder Licht am Horizont war. Und da hatten wir tatsächlich einen richtigen Aufschwung, wo die Lust auf jeden Fall wiederkam. Einfach, weil es wieder Raum dafür gab.
Aber klar, das ist natürlich nicht so geblieben. Der Alltag mit wenig Schlaf, die ständige Verantwortung für dieses kleine Wesen, die Bedürfnisse, die einen so sehr vereinnahmen – das macht schon was. Und natürlich sagt man immer, man soll auch auf die eigenen Bedürfnisse achten, weil: Happy Mama, Happy Kind oder Happy Papa, Happy Kind. Aber das ist ja gar nicht so einfach.
Und dann noch dieser Wechsel: von Mutter, die stillt und versorgt, hin zu ich als sexuelles Wesen mit eigenen Bedürfnissen. Das braucht Zeit. Das ist nicht unmöglich, beides zu leben, aber es braucht eben Raum und Ruhe. Und die hat man mit so einem kleinen Kind halt selten.
Aber wenn wir sie hatten … Wir haben uns dann manchmal einfach gesagt: „Wir legen uns nackt nebeneinander ins Bett und gucken, was passiert.“ Ohne gleich zu sagen, wir treffen uns jetzt, um Sex zu haben. Sondern wirklich nur: wir sind da, spüren den Körper des anderen. Und das hat meistens schon gereicht. Das hat diesen Wechsel ermöglicht – von Elternteil zurück zu mir selbst mit meinen Bedürfnissen.
Und daraus konnte dann Intimität entstehen. Das hieß nicht immer Sex.
Ja, eine gute Möglichkeit für viele – und für euch auch –, da mehr Intimität und einen Raum für Sexualität zu schaffen. Gibt es Zeiten, in denen du dich jetzt als besonders sexy oder attraktiv empfindest? Trotz oder gerade wegen der Veränderung durch Schwangerschaft und Geburt?
Ja, auf jeden Fall. Ich hatte letztes Jahr ein hartes Jahr.
Ich habe ein Burnout gekriegt, weil die Arbeit – gemeinsam mit dem, wie ich gerne für mein Kind da sein will und dem, was ich ja auch gerne für mich privat noch machen möchte – einfach alles zu viel war. Vor allem mit der Arbeit hat so viel nicht mehr gestimmt. Und dann bin ich ganz schön zusammengebröselt und habe mich da wieder rausgekämpft.
Und ich weiß, dass ich da irgendwann an so einem Punkt angekommen war, wo ich so dachte: Ja, ich bin stark. Da ist so ein Selbstbewusstsein daraus entstanden, dieses Gefühl: Ich habe ein Kind auf die Welt gebracht, ich versorge es, ich sorge dafür, dass es ihm gut geht, dass es sich gut entwickelt – und ich bin eine Mama. Nicht so im Sinne von „Mutti“, sondern eher wirklich so: Nee, ich bin eine Mama.
Und dieses Selbstbewusstsein, diese gefühlte Kraft, das führt bei mir dann auch dazu, dass ich so eine sexy Ausstrahlung bekomme. Da bin ich dann auch ganz bei mir.
Ja, das hört sich schön an. Wie empfindest du deinen Körper jetzt im Vergleich zu der Zeit vor der Schwangerschaft?
Tatsächlich habe ich in der Schwangerschaft ziemlich viel abgenommen – vor allem durch das erste Trimester, und auch in der Zeit nach der Geburt relativ stark. Das war schon fast zu viel. Ich weiß noch, meine beste Freundin stand vor mir und meinte: „Das geht so nicht“, weil ich auf einmal so dünne Beine hatte.
Ich war ja auch in der Schwangerschaft sehr aktiv. Meine Hebamme meinte irgendwann: „Du musst jetzt mal einen Gang runterfahren, sonst frisst das Kind dich auf.“ Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass dieser Gewichtsverlust nicht auch dazu geführt hat, dass ich mich ein bisschen attraktiver finde.
Die Dehnungsstreifen oder die Stelle am Bauch – das stört mich gar nicht. Also optisch bin ich nach der Schwangerschaft und jetzt mit der Mutterschaft eigentlich zufriedener mit mir als vorher. Ich glaube, das liegt auch daran, dass psychisch in den letzten Jahren viel passiert ist, dass ich mich ein Stück weit mehr gefunden habe.
Und das hat auf jeden Fall … ich weiß nicht, ob ich diesen Weg, den ich jetzt so gegangen bin, auch ohne das Mutterwerden so gegangen wäre. Ich denke, nicht nur das Mutterwerden, aber ich glaube, es war ein ganz wichtiger Katalysator. Es hat das Ganze beschleunigt.
Wahrscheinlich wäre ich den Weg auch ohne ein Kind irgendwann gegangen – zwangsläufig. Aber durch dieses Kind stellt man sich an so vielen Stellen die Frage: Wer bin ich? Was ist wichtig? Und dadurch bin ich jetzt an einem Punkt angekommen, wo ich sagen kann: Ich bin eigentlich sehr zufrieden mit mir gerade.
Ah, wie berührend. Und deine Brust hat sich sicherlich auch verändert – auch in der Größe. Wie war das denn für dich?
Ja, das war bei mir gar nicht so viel. Also ich habe gar nicht so viel größere Brüste in der Schwangerschaft und Stillzeit gehabt. Und jetzt so … ja, okay, man könnte sagen, es ist alles ein bisschen schlaffer, es könnte straffer sein. Aber die meiste Zeit fällt es mir gar nicht auf.
Ich glaube, ich habe insgesamt nicht so eine große Veränderung der Brust gehabt in der Stillzeit. Ich habe eine Freundin, die sagt jetzt nach ihrem Stillen, sie hätte nur noch „leere Tüten“. Und das Gefühl habe ich bei meinen Brüsten zum Glück nicht. Die sind noch eher volle Tüten.
Und wenn wir jetzt gerade bei den Brüsten sind – hattest du das Gefühl, dass sich vielleicht auch die Empfindsamkeit verändert hat? Und ist da irgendwas geblieben? Also im Vergleich vor der Schwangerschaft, während der Schwangerschaft und dann eben auch durch das Stillen?
Also auf jeden Fall. Die Empfindsamkeit hat sich definitiv verändert. Ich hatte in der Stillzeit wirklich riesengroße Löcher in meinen Nippeln, also richtige Wunden. Damit verbinde ich bis heute eher Schmerz.
Als es dann irgendwann lief, war es okay. Aber jetzt habe ich eher das Gefühl, dass da weniger Empfindung ist. Wenn ich mich frage, welche Berührung meine Brust oder vor allem meine Nippel brauchen, dann merke ich: Es muss intensiver sein, damit ich es überhaupt richtig spüre und genießen kann.
Ich glaube, das war vor der Schwangerschaft und vor der Stillzeit anders. Heute sehe ich auch noch die Narben, die da geblieben sind. Die sind okay, ich komme damit klar – aber sie erinnern mich eben auch daran.
Also gibt es da eine Veränderung, wenn es um deine Brüste als erogene Zone geht?
Ja, auf jeden Fall. Meine Brüste sind für mich jetzt nicht mehr automatisch so eine erogene Zone wie früher. Vor allem die Nippel – da hat sich durch die unangenehme Erfahrung beim Stillen wirklich etwas verändert. Der Rest der Brust ist eigentlich wie vorher, da genieße ich bestimmte Berührungen immer noch sehr.
Aber die Nippel haben heute eine ganz andere Empfindungsqualität als früher. In der Schwangerschaft fand ich sie zum Beispiel wahnsinnig schön, die haben mir richtig gut gefallen – die hätte ich mega gern behalten. Aber ja, die sind leider nicht geblieben.
Ich nehme an, dass das auch mit dem Narbengewebe zusammenhängt, dass sich dadurch das Empfinden verändert hat. Und ich glaube, da spielt auch die psychologische Komponente mit hinein – weil diese lange, schmerzhafte Phase in der Stillzeit einfach nachwirkt. Vielleicht blockiert das noch ein Stück.
Aber ich habe meinen Weg damit gefunden. Heute ist es so: Meine Nippel brauchen einfach intensivere, festere Berührung, damit ich das genießen kann.
Habt ihr denn so Rituale gehabt? Also du hattest schon besondere Momente beschrieben, wo ihr euch einfach nackt hingelegt habt. Gab es noch weitere Rituale, um Intimität bewusst zu pflegen?
Wir haben uns das immer viel vorgenommen, aber tatsächlich nicht so umgesetzt. Ich habe mir das sehr gewünscht, weil ich gesehen habe: ich sehe diese spontane Sexualität einfach gerade.
Wenn wir uns auf die verlassen, dann sehe ich da sehr viel weniger als vorher.
Deshalb habe ich angefangen, mich mehr mit meinem Körper auseinanderzusetzen. Ich wollte verstehen, wie Sexualität in der Elternschaft überhaupt funktionieren kann. Ich habe dazu recher-chiert und versucht, mehr über meinen Körper zu lernen, als ich bis dahin wusste. Das war für mich ein wichtiger Schritt, um bewusster mit dem Thema umzugehen.
Und es gab noch was besonders, weil mein Partner, als unser Kind so acht, neun Monate alt war, in eine Depression gerutscht ist. Und so eine Depression macht natürlich etwas mit der Körperlichkeit und auch mit der Sexualität. Und auch, dass bei meinem Partner, glaube ich, diese Auseinandersetzung mit seiner eigenen Sexualität dazu geführt hat, dass da einfach auch in unserer Sexualität so ein bisschen Blockade drin war.
Das hat irgendwann so eine doofe Dynamik bekommen: Ich habe immer gezogen, gesagt „Ich möchte gerne, lass uns doch, können wir nicht?“ – und er hat meistens „nein“ gesagt. Das war schwierig für uns beide.
Heute wären wir, glaube ich, an einem Punkt, wo wir sagen würden: Wir planen das. Wir setzen uns ein Mindestmaß, und alles, was darüber hinausgeht, ist einfach ein Bonus. Und wir haben auch festgestellt, dass es wichtig war herauszufinden, wer von uns wann gerne Sex hat. Mein Partner ist abends oft zu müde – ich könnte da noch, aber er eben nicht.
Wir mussten uns bewusst andere Zeiten suchen, wo wir uns wirklich treffen und finden können. Und was für uns beide total wichtig ist: ein Raum, der nicht unsere Wohnung ist. Deswegen war unser Garten immer ganz toll – da war kein Geschirr, keine Wäsche, die einen anschaut. Einfach ein Ort, wo man mal raus ist.
Und das hat meistens wirklich gut funktioniert. Also dieses bewusste Verabreden und extra Räume schaffen, das ist für uns entscheidend. Das sind die Momente, in denen es dann auch wirklich läuft.
Und jetzt so eine große Frage: Was ist eigentlich Sexualität für dich? Und hat sich das durch euer Kind verändert?
Boah, das ist wirklich eine große Frage. Was Sexualität für mich ist. Ein großer Komplex.
Also auf jeden Fall hat es sich verändert, was Sexualität für mich ist. So mein ganzes Frausein hat sich ja verändert, also hat sich auch meine Sexualität verändert. Und ich habe mich verändert. Sex ist für mich jetzt was, was einfach irgendwie überall mit drin ist in mir.
Das ist so ein ganz großer Bestandteil von mir. Sexualität war mir immer super wichtig. Ich hatte schon immer ganz viel Neugier und immer dieses Gefühl: da gibt’s doch noch mehr. Da ist noch was.
Für mich hat Sexualität immer diese forschende Dimension – zu entdecken, welche Empfindungen mein Körper haben kann, Lust und Genuss zu erforschen. Zu gucken: Was ist das? Was kann das? Finde ich das gut? Wenn nicht, lasse ich es. Das ist für mich Sexualität.
Und das hat sich mit meiner Mutterrolle auf jeden Fall verändert. Weil ich mich mit dem Mutter-werden – oder vielleicht auch parallel dazu, das lässt sich gar nicht so trennen – als Person verändert habe. Auch in der Art, wie ich auf Menschen zugehe, wie ich Beziehungen sehe.
Und würdest du sagen, dass sich auch dein Umgang mit deinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen in der Sexualität verändert hat?
Ja, absolut. Ich war früher eher so jemand, der eine gute Gastgeberin ist – ich konnte mich gut auf Menschen einstellen, wusste, was sie brauchen. Und genauso habe ich auch Sex genossen. Ich habe es wirklich schön und erregend gefunden, für den anderen zu sorgen.
Heute bin ich an einem ganz anderen Punkt. Ich bin viel selbstbewusster mit meinen eigenen Wünschen – damit, was ich möchte und wie ich das auch bekomme. Ich habe keine Angst mehr, dass ich dafür abgelehnt werde. Sondern ich sage klar: „Das finde ich gut, möchtest du das auch?“ Und wenn jemand sagt „nein“, dann ist das auch okay. Dann sucht man sich eben einen Menschen, der sagt: „Ja, ich finde das auch richtig super, lass uns das mal machen.“
Gerade in der Zeit, in der wir getrennt waren, habe ich da wirklich Glück gehabt. Ich bin an Menschen geraten, mit denen ich tolle Erlebnisse hatte, die meinen Horizont geöffnet haben. Das hat mir gezeigt: Ich darf mir nehmen, was ich will. Ich darf mir wünschen, was ich will. Ich darf es auch vollkommen okay finden, dass ich gerne diene – und gleichzeitig darf ich auch diejenige sein, die jemanden kommandiert. Beides darf nebeneinander existieren, ich muss mich nicht entscheiden.
Das hat meine Sexualität insgesamt zu einer viel selbstbewussteren gemacht. Und ich glaube, das Muttersein hat dazu sehr viel beigetragen – weil es nochmal alles in eine andere Perspektive rückt.
Ja, das hast du eigentlich schon ein bisschen erzählt. Die Frage ist zwar ähnlich, aber vielleicht gibt es noch eine Nuance dazu: Hast du das Gefühl, dass sich dein sexuelles Wesen durch die Mutterschaft verändert hat? Wenn du den Begriff „sexuelles Wesen“ hörst – gibt es da noch etwas, das du ergänzen möchtest?
Es ist auf jeden Fall diese Dimension, die ich meine … ich kann es gar nicht so exakt beschreiben, was es ist. Aber es hat viel mit dieser Schöpferkraft zu tun, die ich besonders in der Schwangerschaft gespürt habe.
Meine Beziehung zu meinem Frausein hat sich einfach verändert und das hat so etwas Starkes, Geerdetes bekommen, gerade durch die Mutterschaft einfach.
Und hat sich eben auch dein orgasmisches Erleben verändert durch die Schwangerschaft und Geburt?
Es hat sich auf jeden Fall verändert. Ich weiß aber gar nicht so genau, ob das direkt durch die Schwangerschaft und Geburt kam – oder ob es eher damit zu tun hat, dass ich angefangen habe, mich noch einmal ganz anders mit meinem Körper auseinanderzusetzen.
Mir ist klar geworden: Es reicht nicht, immer nur zu sagen, das Einzige, was man stimulieren kann, ist der Kitzler. Sondern es geht darum, wirklich neu zu erforschen, wie man eigentlich berührt werden will, und auch mal von den bekannten Mustern abzuweichen.
Dadurch hat sich definitiv etwas verändert. Es gab auch eine ganz lange Zeit, in der ich sagen würde, dass mein orgasmisches Erleben insgesamt weniger intensiv war.
Wie bist du damit umgegangen – und hat sich das noch einmal verändert?
Ja, das war oft frustrierend für mich. Aber dann gab es irgendwann so einen Moment, wo irgendetwas passiert ist – und wo es auch für mich richtig Klick gemacht hat. Das war der Moment, in dem ich angefangen habe, ganz klar zu sagen, was ich will, was ich mir wünsche und wie ich es gerne hätte.
Und ich habe gemerkt, dass ich sexuell auch eher so agieren darf, dass ich einfach das mache, was ich will. Dass ich nicht dauernd überlege, wie es dem anderen gerade gefällt, sondern dass ich den Fokus auf mich selbst richten darf.
Und da ist es dann wesentlich reicher geworden. Da ist es intensiver geworden. Ich glaube, das war so ein ganzes Konglomerat – dieses Wiederfinden und Wiederentdecken des eigenen Körpers nach der Schwangerschaft, aber eben auch dieses neue Selbstbewusstsein.
Heute würde ich sagen: mein orgasmisches Erleben ist üppiger geworden.
Gibt es ansonsten neue Vorlieben oder vielleicht auch Abneigungen, die sich durch Schwangerschaft und Geburt im Bezug auf Sexualität herausgestellt haben? Du hast schon ein bisschen beschrieben, dass du klarer und selbstbestimmter mit deinem Körper geworden bist.
Ja, also höchstens dieses Nippelthema – da hat sich auf jeden Fall was verändert. Das ist nicht unbedingt eine Abneigung, aber einfach eine neue Empfindungsqualität, die mich klarer gemacht hat.
Und insgesamt bin ich viel deutlicher darin, bei penetrativem Sex zu sagen: „Okay, bis hierhin war es gut, aber jetzt gibt es mir gerade nichts mehr – jetzt brauche ich bitte noch etwas anderes dazu.“ Oder auch zu merken, dass ich da mehr Bewegung und Aktivität brauche als Passivität.
Also ich bin klarer geworden in dem, was ich möchte und brauche – und traue mich, das auch zu kommunizieren.
Und wenn du Lust hast, wann hast du dann Sex? Vorhin habe ich gehört, wenn du Lust hast, dann ist egal wann und ist mehr Solo- oder Partnerin-Sex?
Es ist ein bunter Mix. Aber auf jeden Fall gab es eine ganz lange Zeit mit unfassbar viel Solo-Sex. Weil ich in dieser Phase, in der ich gesagt habe: „Okay, ich muss jetzt mal mehr über mich und meinen Körper herausfinden“, das lief erst mal ganz viel über Solo.
Das habe ich dann irgendwie mitgenommen in unser Sexleben.
Aber ich würde auf jeden Fall sagen, ich habe regelmäßiger Sex mit mir als mit meinem Partner. Definitiv ist das so, weil das ist für mich so eine Entspannung – einfach den Druck des Tages loslassen können.
Wenn mein Partner und unser Kind mal rausfahren, dann weiß ich: Ich habe jetzt hier vier Stunden alleine zu Hause. Und klar, ich könnte tausend Dinge machen und werde das auch tun – aber erst mal gönne ich mir eine Stunde für mich.
Wir schlafen auch immer noch oft getrennt, weil einer von uns meist neben dem Kind schläft. Und derjenige, der dann wirklich mal alleine im Bett liegt, hat dann abends seine Zeit für sich – und ich glaube, der nutzt die dann auch.
Also ja, es ist leider immer noch mehr Solo- als Paarsex. Aber ich glaube, wir wünschen uns beide, dass es wieder mehr Paarsex wird. Nur steht dem halt einfach der Alltag im Weg und das Kind, sein Schlafverhalten.
Wir haben zum Glück ein gutes Support-System. Wenn unser Kind bei den Großeltern ist, dann haben wir auch unsere Momente, wo wir uns Zeit füreinander nehmen. Aber ich verstehe total, dass Leute sagen, es ist sonst einfach nicht machbar. Das ist wirklich schwierig zu organisieren.
Gerade abends: die einzige Zeit, die man dann so hat, ist eben, wenn das Kind schläft. Aber da ist man selbst oft müde, und dann bleibt einfach nicht mehr viel übrig. Manchmal geht es – dann entwickelt sich von alleine noch eine Energie. Aber eben nicht immer.
Sag mal, wie wichtig ist dir sexuelle Intimität jetzt in eurer Beziehung – und hat sich das im Vergleich zu vor der Geburt verändert?
Naja, das ist ja, glaube ich, so ein Prozess im Elternwerden. Dass man akzeptieren muss, der Tag hat nur 24 Stunden und die Woche sieben Tage – und man schafft einfach nicht mehr alles. Man setzt Prioritäten, man trifft Entscheidungen, was wichtig ist und was nicht.
Und das hört sich dann schnell so an, als müsste man sich von Dingen verabschieden. Aber ich finde, es ist manchmal auch total entlastend. Es ist auch schön, wenn Sexualität nicht immer dieses Riesenthema sein muss, wo alles aufregend, erotisch und hochgradig lustvoll ist. Sondern wenn es auch einfach etwas Alltägliches, Entspanntes bekommt. Das kann auch schön sein.
Wie gehst du, wie geht ihr mit den Anforderungen des Alltags um, um euch Zeit für Intimität zu schaffen? Du hast ja schon ein bisschen erzählt, dass euer Support-System wichtig ist. Und gibt es in eurer neuen Wohnung vielleicht auch wieder sowas wie einen Garten dazu?
Noch nicht, aber wir planen das. Und ich glaube, unsere neue Wohnung wird auch so ganz schön, weil wir sie wieder so aufgeteilt haben: Jeder hat sein Zimmer und richtet es selbst ein.
Das bekommt so eine besondere Dimension – man lädt sich quasi gegenseitig ein. Wir haben in allen Zimmern Betten, und das war uns wichtig: zu sagen, ich lade ihn in mein Zimmer ein, und er lädt mich in seins ein. Ich glaube, gerade die Gestaltung dieser Räume, dass sie schön und gemütlich sind, ist wichtig, weil wir wissen: Wir brauchen diese Forschungsräume.
Wir bauen uns also so eine Art Raum im Raum, in dem wir uns begegnen können. Und wenn irgendwann wieder ein Garten dazu kommt – dann wird das bestimmt auch wieder ein besonderer Ort für uns.
Dem kann ich nur zustimmen, es ist so wichtig, dass man seine Räume – oder vielleicht auch nur eine Ecke, einen Vorhang – bewusst zu einem Forschungsraum macht, um den Alltag für den Moment auszublenden. Wie erlebst du das?
Ja, absolut. Ich glaube, das ist für mich wirklich der größte Lustkiller: wenn der Alltag so präsent ist. Vielleicht ist das nur bei mir so, aber ich habe das Gefühl, meinem Partner geht es ähnlich.
Man sieht einfach überall diese Verantwortlichkeiten. Eine Freundin hat das mal so treffend beschrieben: Selbst wenn sie mit ihrem Freund zusammensitzt und sich unterhält, ist es ein einziges logistisches Gespräch. Man redet fast nur noch über Logistik – wer holt wen wann ab, wer übernimmt was, was muss noch organisiert werden.
Und genau das kommt mit dem Elternsein so stark dazu und steht der Sexualität massiv im Weg. Deshalb ist es für mich so wichtig, irgendeinen Weg zu finden, mal einen Pauseknopf zu drücken – das alles für eine Weile wegzuschieben, uns frei zu machen von diesem ganzen Drumherum.
Welche Rolle spielt denn Selbstliebe und Selbstfürsorge in deinem Leben seit der Geburt deines Kindes?
Eine sehr große. Vor allem, weil ich es am Anfang nicht gemacht habe. Ich habe wirklich auf die harte Tour gelernt, dass man dafür einen hohen Preis zahlt, wenn man Selbstfürsorge ignoriert.
Deswegen ist sie jetzt für mich ein wichtiges Thema – auch wenn ich sagen würde, ich bin da noch im Prozess. Es ist nicht leicht auszuhandeln: Was will ich, was brauche ich, und wie geht das zusam-men mit diesem kleinen Wesen, das am Anfang so stark von einem abhängig ist.
Und irgendwann merkt man, okay, er ist jetzt stabiler, ich kann mir wieder Räume nehmen und es mir auch erlauben. Aber das musste ich lernen. Wenn ich heute noch einmal mit mir von vor drei Jahren sprechen könnte, dann würde ich mir definitiv sagen: Nimm dir mehr Zeit für dich. Nimm dir Räume für dich. Das ist nicht nur okay – es ist wichtig. Es ist deine Pflicht.
Weil wenn ich für mich da bin, dann kann ich auch wirklich gut für mein Kind da sein. Und auch in meiner Partnerschaft präsent sein. Aber wenn ich mir selbst nicht zuerst die Sauerstoffmaske aufsetze, wie soll das alles gut gehen?
Die Frage schließt auch so ein bisschen an: Wie wichtig ist dir die sexuelle Autonomie? Und wie lebst du diese in deinem Alltag als Mutter jetzt?
Du hast es schon so ein bisschen beantwortet, aber vielleicht gibt es da noch eine Ergänzung.
Auf jeden Fall ist mir das wichtig. Das ist für mich jetzt durch die Entwicklung der letzten drei Jahre noch klarer geworden – bestimmt auch ausgelöst durch mein Kind. Ich weiß einfach: Da ist noch etwas für mich zu entdecken, da gibt es noch mehr.
Und ich will das auch. Manchmal ärgere ich mich, weil ich denke: Hätte ich das mal früher gecheckt, bevor das Kind da war – da wäre es logistisch so viel einfacher gewesen. Aber dann denke ich auch wieder, genau durch das Muttersein ist die Zeit ja so viel wertvoller geworden. Wenn ich jetzt etwas tue, dann ist es wesentlich intensiver. Es ist nicht mehr so beliebig.
Ich habe letztes Jahr jemanden kennengelernt, der auch Kinder hat und auch eine Beziehung. Wir haben die Vereinbarung, dass wir uns nur für sexuelle Begegnungen treffen, wenn wir beide Lust haben. Das ist erst mal gar nicht so leicht, überhaupt Termine zu finden, an denen wir beide Zeit haben. Aber wenn es dann passiert, dann ist es besonders und intensiv.
Eigentlich macht gerade diese Einengung, diese Begrenzung, die Dinge besser. Weil ich sie viel bewusster erlebe. Es ist so, als würde ich nicht mehr jeden Abend in die Kneipe gehen – aber wenn ich dann mal hingehe, dann ist es großartig. Und so ist es mit der Sexualität jetzt auch: vielleicht nicht mehr so häufig, aber wenn, dann knallt es.
Voll schön, wie dein ganzer Körper strahlt, wenn du das so erzählst. Ich habe noch eine spezifischere Frage, und zwar zum Thema, wenn du ejakulierst. Hast du da eine Veränderung durch die Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit erfahren?
Oder ist es etwas, was gar nicht so in deinem Sexualleben eine Rolle spielt?
Das habe ich tatsächlich erst nach der Schwangerschaft für mich entdeckt, dass ich das überhaupt kann. Das war etwas, das ich mit mir selbst herausgefunden habe.
Durch die Schwangerschaft habe ich Beckenboden-Probleme entwickelt, die auf jeden Fall auch Dinge verändert haben. Mit Übungen habe ich das inzwischen ganz gut im Griff, aber es bleibt na-türlich ein Thema.
Wenn du fragst, ob sich das verändert hat, würde ich sagen: ja. Aber es gibt da bei mir noch eher so einen unentspannten Umgang damit. Ich bin noch auf dem Weg einen wirklich entspannten Umgang damit zu finden und es auch genießen zu können.
Der Beckenboden – der blöde Beckenboden – der spielt da einfach mit rein.
Der blöde, schöne Beckenboden.
Der blöde, tolle Beckenboden. Man weiß halt erst, wie wichtig er ist, wenn er seine Dienste nicht mehr tut.
Das macht ja auch nochmal etwas mit der eigenen Selbstwahrnehmung.
Wenn man so einpullert und sich denkt: „Ich fühle mich jetzt gerade definitiv nicht wie ein selbstbestimmtes Wesen“, weil so ganz basale körperliche Funktionen die Kontrolle übernehmen – und nicht ich. Das macht schon etwas mit dem Gefühl für sich selbst.
Da so einen liebevollen, humorvollen und akzeptierenden Umgang zu finden, ist wichtig. Dass man sagt: so ist es eben auch. Ich kann es ja nur bis zu einem bestimmten Grad ändern. Aber da hilft Humor.
Auf alle Fälle. Ich bin jetzt gerade mit meinen Fragen durch. Gibt es noch irgendwas, wo du sagst, das ist dir jetzt gerade noch so gekommen, als wir so darüber gesprochen haben, was du noch er-zählen magst?
Nö, eigentlich nicht. Ich fand es super, das nochmal so für mich Revue passieren zu lassen und zu rekapitulieren. Und so jetzt als Ergebnis dazu stehen zu haben: ja, das war alles intensiv und viel und anstrengend und auf dem Weg nicht immer schön – aber das Ergebnis, wo man jetzt steht, ist einfach schön.
Es bringt einen nur näher an sich selbst heran. Und darüber freue ich mich gerade.
Ich danke dir sehr für deine Geschichte.
Benjamin
Alter: Ich bin 40.
Und das heißt, du warst 37, 36 ungefähr, als euer Kind geboren wurde?
Genau, das war eine Woche vor meinem 37. Geburtstag.
Und hast du noch andere Kinder? Nein.
Wie ist gerade so deine Arbeitssituation und gibt es irgendwie so Besonderheiten?
Ja, zwei Besonderheiten. Zum einen bin ich freiberuflich tätig – das macht es in der Organisation sowieso immer ein bisschen besonders, weil es eben keinen regelmäßigen Arbeitsablauf gibt. Ich arbeite viel im Theater, und das findet häufig abends oder am Wochenende statt.
Und zusätzlich habe ich im September nochmal etwas Neues begonnen: Ich habe mich an einer Hochschule eingeschrieben und beschlossen, noch einmal etwas ganz anderes zu studieren. Das heißt, ich bin gerade Student, freiberuflich tätig – und dazu Vater, Partner, Freund … also ziemlich viel auf einmal.
Und zum Zeitpunkt eurer Schwangerschaft und so die Phase davor, da warst du einfach auch freiberuflich?
Ja, da war ich auch freiberuflich. Aber durch die Anstellung meiner Partnerin als Lehrerin hatten wir eine Absprache: Ich trage ungefähr nur ein Drittel zu unserem Haushaltseinkommen bei. Das hat die Situation für mich deutlich entspannter gemacht, weil ich weniger Druck hatte, ständig etwas tun oder verdienen zu müssen.
Ja, cool. Wolltest du eigentlich auch schon immer Kinder haben? Und hast du irgendwie eine Vorstellung dazu gehabt?
„Immer“ ist eine gute Frage. Aber ja, ich wollte auf jeden Fall Kinder haben. Gleichzeitig hatte ich mega Respekt davor, weil ich ganz lange dachte: Ich kann das gar nicht. Ich war ja das jüngste Kind, das heißt, ich hatte keine jüngeren Geschwister, an denen ich hätte lernen oder schon mal etwas mitbekommen können. Und Familie war für mich in meiner Jugend auch nicht unbedingt das große, tolle Ding, sondern eher etwas, aus dem ich rauswollte.
Deshalb fand ich die Vorstellung, selbst Kinder zu haben, zwar spannend und toll, aber ich hatte eben auch Angst davor – ob ich das wirklich kann.
Ja, und wenn du in der Vorstellung warst „ich kann das“, gab es irgendwie auch einen Wunsch nach der Anzahl der Kinder? Oder warst du da ganz offen?
Ich glaube, da war ich eher offen. Aber in meinem Kopf waren eigentlich immer zwei ganz cool. Auch, weil ich die Erinnerung an meinen etwas älteren Bruder hatte – wir sind drei Jahre auseinander. Und das war schon toll, jemanden zu haben, der so im ähnlichen Alter ist. Deswegen war in meinem Kopf eigentlich immer: zwei Kinder wären schön.
Und da habe ich ja jetzt auch schon ein bisschen etwas gehört, aber ich möchte dich trotzdem fragen, war es dann ein Wunschkind und war es geplant?
Ja, es war ein Wunschkind und es war auch geplant. Aber es hat gedauert, bis es dann wirklich geklappt hat. Meine Partnerin musste die Pille absetzen, die sie ja wirklich über viele Jahre genommen hatte. Dann folgten Untersuchungen – mein Sperma wurde getestet, bei ihr wurde geschaut, ob alles funktioniert.
Dabei kam dann auch die Diagnose PCO ins Spiel. Sie hat schließlich Tabletten bekommen – ich weiß den Namen leider nicht mehr – und glücklicherweise hat es dann gleich bei der ersten Einnahmerunde funktioniert.
Wie hast du dich während der Schwangerschaft von deiner Partnerin gefühlt?
Also das war natürlich alles sehr aufregend. Man muss vielleicht auch dazu sagen – was da eine wichtige Rolle gespielt hat – die Zeugung war Anfang Juli 2020. Das heißt, das war nach dem ersten Lockdown und vor dem zweiten. Die Welt war in dieser Zeit ohnehin sehr besonders, irgendwie in so einem Zwischenzustand.
Bezogen auf das Kind war es für mich eine Mischung: aufregend, nervös, gleichzeitig Umbau, Vorbereitung. Ich habe auch einiges dazu gelesen, wir haben uns viele Gedanken gemacht. Grundsätzlich war es eigentlich sehr positiv, ich habe mich gefreut.
Aber gleichzeitig war da dieses Gefühl, dass sich etwas sehr Fundamentales ändern wird. Und auch eine gewisse Angst – nicht genau zu wissen, was kommt. Wie werde ich selbst damit sein? Kann ich das überhaupt? Was passiert da?
Also ja, ich würde sagen: es war beides – Vorfreude und Angst.
Und wie hast du auf die körperlichen Veränderungen von deiner Frau reagiert während der Schwangerschaft?
Also im ersten Trimester war es so, dass meine Frau sehr viel im Bett lag. Sie hat viel Zeit gebraucht, ihr war zwischendurch immer wieder schlecht. Ich glaube, mein Modus war in der Zeit: fragen, ob sie was braucht, und gleichzeitig sie eher in Ruhe lassen. Also einfach da sein, wenn was ist.
Später dann waren sowohl sie als auch ich wegen Corona viel zuhause … Die Theater waren zu, ich hatte nicht so viel zu tun. Sie hatte wegen Schwangerschaft und Corona sehr schnell Beschäftigungsverbot. Das hieß, wir hatten einfach viel Zeit zusammen, was ziemlich gut war.
Und ich fand es auch total schön zu sehen, wie sie so da reingewachsen ist – in diese Aufgabe, in diese Herausforderung. Gegen Ende der Schwangerschaft hatte ich dann wirklich den Eindruck: sie war richtig bei sich. Und das fand ich sehr schön.
Ich fand das einfach einen schönen Anblick, das weiß ich noch. Ästhetisch war das wirklich schön. Wobei ich ehrlich sagen muss, dass ich das schwer unterscheiden kann. Ich finde Menschen generell schöner, wenn ich das Gefühl habe, sie finden sich selbst schön. Das spielt für mich eine Rolle, weil die Haltung dann ja auch eine ganz andere ist, nicht nur das Äußere.
Und klar, ich hatte auch mega Respekt vor dieser Empfindlichkeit, vor diesem kleinen Wesen in ihrem Bauch. Das war natürlich ein ganz anderer körperlicher Umgang, weil da ist etwas so Wertvolles. Ich musste im Alltag viel mehr aufpassen, dass ich nicht dagegenkomme oder sie versehentlich anremple. Auch die Berührungen waren ganz anders. Einen schwangeren Bauch berührt man eben anders als einen Bauch, der nicht schwanger ist. Und dann noch diese Tritte und Bewegungen – das war nochmal der totale Wahnsinn. Aber es war auch wirklich was Besonderes.
Was das Sexuelle angeht, war es allerdings schon seltsam. Das fiel mir nicht leicht. Im Rückblick könnte ich aber gar nicht genau sagen, ob es die Schwangerschaft war oder ob da auch schon Dinge angelegt waren, die dann später nach der Geburt als Reibungspunkte zwischen uns deutlicher hervorgetreten sind. Vielleicht war beides da.
Hattest du denn dann tatsächlich auch Bedenken in der Sexualität? Das hört sich so ein bisschen so an.
Ja, das ist immer ganz schlimm, weil ich hatte so einen Satz im Kopf aus einem Film, der total dämlich war. Aber das war, glaube ich, “Der bewegte Mann”. Weiß nicht, ob du den kennst.
Und da gibt es diese Szene, relativ am Ende des Films: Da ist dann die Hauptperson, Till Schweiger, seine Freundin ist schwanger und er will dann irgendwie einen Seitensprung machen, weil er nicht mit seiner schwangeren Frau schlafen möchte. Und da hat er irgendwie so blöde Sätze dazu. Und das kam mir halt immer wieder in den Kopf und das hat mich total genervt, weil ich das überhaupt nicht so sehen wollte.
Ich habe das Gefühl, das hat mich irgendwie gehemmt und ich fand mich aber total doof dafür, dass mich das gehemmt hat.
Wie hast du die Sexualität deiner Partnerin während der Schwangerschaft wahrgenommen – auch ihre Lust? Hat sich da etwas verändert? Und wie bist du selbst damit umgegangen, wie hast du darauf reagiert?
Ich finde das wirklich schwer zu sagen. Aber wenn ich so zurückdenke, habe ich schon das Gefühl, dass sich das stark verändert hat. Dadurch, dass sie so sehr in ihrem Körper war in dieser Zeit, hatte ich den Eindruck, dass sie mehr Lust hatte. Im Vergleich zu der Phase davor, wo wir versucht haben, schwanger zu werden, erinnere ich mich daran, dass sie in der Schwangerschaft eher mehr Sex wollte als ich.
Und wie war das?
Unangenehm.
Warum?
Das hat auch mit der Geschichte zwischen ihr und mir zu tun, wie wir Sexualität miteinander gelebt haben. Bei uns gab es so einen Mechanismus: Ich konnte nicht so frei Nein sagen. Also nicht immer, aber oft war es so, dass ein „Nein“ ganz schnell auch wie eine Ablehnung gewirkt hat. Nicht im Sinne von „ich will gerade nicht“, sondern im Sinne von „ich will dich nicht“. Und das hat es für mich schwer gemacht. Ich habe da ganz schön viel rumlaviert, weil ich Angst hatte, dass sie mein Nein so wahrnimmt.
Und das ist, würde ich fast sagen, nicht unbedingt etwas, das mit der Schwangerschaft zu tun hatte, sondern eher generell ein Thema in unserer Beziehung. Aber ich kann schon sagen, dass es für mich keinen wirklichen Ort gab, um mit diesen Hemmungen, Ängsten und Sorgen in meiner Sexualität umzugehen. Ich hatte niemanden, mit dem ich das besprechen konnte. Ich war da ziemlich allein damit und habe mir da auch niemanden ins Boot geholt.
Du hast ja eben schon angedeutet, dass du niemanden hattest, mit dem du über deine Herausforderungen sprechen konntest. Wenn du zurückblickst – was hättest du dir gewünscht? Wen hättest du dir als Gesprächspartner vorstellen können?
Im Rückblick, glaube ich, einfach einen anderen Vater. Jemand, der das kennt. Oder auch jemand, der es anders sieht, aber der zumindest in einer ähnlichen Situation war. So jemand hätte mir sicher gutgetan.
Aber ich muss auch ehrlich sagen: Ich habe gar nicht gesucht. In unserem Freundeskreis gab es niemanden, der gerade frisch Vater war. Und überhaupt schon gar keinen, mit dem ich solche Themen hätte besprechen können.
Mein eigener Vater war da auch keine Option – er war schon über zehn Jahre tot. Und in meiner Familie … na ja, meine Geschwister, zu denen habe ich nicht den Draht, um über solche Dinge zu reden. Und sie hätten, glaube ich, auch kein Interesse gehabt, mit mir darüber zu sprechen.
Ich finde das eine ganz wichtige Information, weil viele Frauen sich darüber wahrscheinlich keine Gedanken machen. Unser gesellschaftlicher Blick auf Schwangerschaft richtet sich fast ausschließlich auf die Frau – ihre Herausforderungen, ihre Veränderungen. Männer oder Partnerinnen geraten da kaum in den Blick. Deshalb ist es, glaube ich, auch für unser Buch wertvoll, genau das sichtbar zu machen: Dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, wo auch Männer oder Partner*innen ihre Themen besprechen können.
Ja und ich möchte dabei auch nicht so klingen, als würde ich mich beschweren. Ich habe einen riesigen Respekt vor Schwangerschaft und Geburt, das ist ohne Frage die Hauptaufgabe. Aber klar, für mich war es auch blöd in manchen Momenten.
Und ich glaube, das wäre gar nicht unbedingt etwas gewesen, was ich für mich alleine hätte klären müssen. Wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, das in unserer Beziehung wirklich zu besprechen – und die gab es damals eben nicht so –, dann hätte das wahrscheinlich schon gereicht.
Ich hätte mir gewünscht, dass das einen Raum hat, in unserer Beziehung. Ohne dass es sofort schambesetzt wird oder unangenehm. Aber genau das ist ja oft das Problem: Über Sexualität zu sprechen ist in unserer Gesellschaft eben schnell schamig
Wie war denn dann für dich die Erfahrung der Geburt?
Also, die Geburt selber war für mich ganz klar: Ich bin hier Assistent von meiner Partnerin. Ich bin da, um sie zu unterstützen und zu helfen, aber eben auch einfach nur da zu sein, wenn sie mich braucht. Sie schafft das allein – aber ich bin bereit, wenn sie Hilfe haben möchte.
Das Härteste für mich war eigentlich, zu sehen, dass sie Schmerzen hatte, dass es so anstrengend für sie war. Das war wirklich schwer auszuhalten. Und gleichzeitig habe ich gemerkt, das ist so meine erste Aufgabe in diesem Moment: irgendwie mit diesem Gefühl klarzukommen und trotzdem stark und ruhig dazubleiben.
Und trotzdem habe ich es als etwas sehr Schönes in Erinnerung. Weil wir uns in dieser Zeit wahnsinnig nah waren. Ich war wirklich die ganze Zeit bei ihr, während die Hebammen zwischendurch auch mal rausgegangen sind. Und das war einfach schön – dieses Gefühl, wirklich in ihrem Team zu sein. Da gab es kein Zurückweisen, keine Sorgen oder komischen Sprüche, sondern einfach dieses Miteinander.
Und wie war für dich der Moment der Geburt selbst?
Da war es dann so: Wir beide machen das jetzt. Und das fand ich sehr schön.
Am Ende saß ich auf einem Bett, meine Frau lag mit ihrer Brust auf meinem Schoß und kniete quasi vor mir. Ich habe sie gehalten. Den eigentlichen Geburtsvorgang habe ich nicht gesehen, ich sah nur, wie die beiden Hebammen mit Kopflampen hinten arbeiteten. Das war irgendwie witzig, aber auch total pragmatisch – genau richtig in dem Moment.
Und dann unser Kind als Erste*r von uns beiden nach der Hebamme zu sehen, als er da hochkam – das war einfach wow. Ein total besonderer Moment.
Die Zeit danach im Geburtshaus habe ich auch als sehr schön in Erinnerung. Es waren vielleicht vier Stunden, bis wir nach Hause gefahren sind, aber es fühlte sich ganz anders an. Einfach dieses Liegen zusammen, mit unserem Kind so nah bei uns – das war ein totales Geschenk. Für mich besonders, weil bis dahin war es ja immer das Kind in ihr, und ich war außen vor. Jetzt war ich wirklich mittendrin.
Dafür bin ich sehr dankbar, dass wir das so erleben durften, so nah und körperlich miteinander, auch im Bett zusammen. Ich weiß, im Krankenhaus läuft das oft anders, und umso schöner war das für mich.
Natürlich habe ich auch mitbekommen, dass sie genäht werden musste – es war nur ein kleiner Riss. Aber wir haben da nicht ausführlich drüber gesprochen. Ich wusste einfach, ihr Körper war erschöpft, sie war erschöpft.
Und nach der Geburt haben wir auch gar nicht so viel drüber gesprochen.
Wenn du nach der Geburt ein Stück weiterblickst: Wie hat sich deine Beziehung zu deiner Frau verändert – insbesondere in Bezug auf Intimität und Sexualität?
Spätestens mit der Geburt hat sich das sehr verändert. Ich erinnere mich an zwei Situationen, wo wir im Wochenbett Sex hatten, aber danach war das Thema eigentlich erst mal durch.
Das hatte zwei Gründe. Zum einen das Körperliche: Von meiner Seite aus war da eine große Unsicherheit. Was geht überhaupt noch? Was fühlt sich für sie gut an? Sie hatte Probleme mit dem Stillen, die Brüste waren keine erogene Zone mehr, und auch vaginal war es schwierig.
Zum anderen war da etwas, was dann wie hochgekommen ist und mit der Geburt wie verstärkt oder katalysiert wurde. Wir hatten schon länger Themen in unserer Sexualität – vor allem was Kommunikation und meine Angst vor Ablehnung betrifft. Ich konnte schwer klar Nein sagen, ohne dass es gleich wie eine Zurückweisung wirkte. Das hat unsere Intimität belastet, schon vor der Geburt. Aber danach kam es noch stärker zum Vorschein.
Du hattest gerade gesagt, du kannst dich erinnern an zwei Situationen während des Wochenbetts. Das Wochenbett ist für dich wie lang? Weil im Wochenbett, manche sagen, es dauert zwei Wochen und andere Menschen sagen, drei Monate.
Gute Frage. So ganz genau weiß ich das gar nicht mehr. Ich würde sagen, für uns war das Wochenbett ungefähr fünf Wochen. Da hatten wir das Gefühl, das Gröbste mit dem Kind ist überstanden. In dieser Zeit erinnere ich mich an eine Situation, und dann später nochmal irgendwann.
Und du hast schon erwähnt, dass es Geburtsverletzungen gab. Hat das eure Sexualität nach der Geburt beeinflusst?
Ja, ich glaube schon. Ich würde sagen, das war einer der Gründe, warum wir keinen Vaginalsex hatten. Rückblickend denke ich, meine Unsicherheit und meine Hemmungen in Bezug auf diese Verletzungen sind mit einer allgemeinen Unsicherheit verschmolzen, die ich ohnehin in unserer Sexualität hatte. Es war also beides da: zum einen die Verletzung und zum anderen das, was ohnehin schon schwierig war zwischen uns.
Und ich muss ehrlich sagen, ein Teil von mir war auch fast dankbar, dass das kein Thema wurde. Weil ich hatte den Eindruck, es war für sie auch schambehaftet, und mir selbst war es auch unangenehm. So hat dann keiner von uns den ersten Schritt gemacht – ich jedenfalls nicht.
Dazu kam, dass wir im absoluten Ausnahmezustand waren. Wir hatten Stillprobleme, unser Kind hat viel geschrien, und wir waren ständig im Kümmer- und Organisationsstress. Da blieb einfach kein Raum für uns als Paar.
Das beantwortet schon so ein bisschen die Frage: Hast du das Gefühl, dass der Alltag mit dem Baby deine Lust auf Sex beeinflusst hat? Du hast ja gerade gesagt, ihr wart so im Ausnahmezustand und im Kümmermodus, dass eigentlich gar kein Raum entstehen konnte, in dem Lust möglich gewesen wäre.
Ja, voll. Aus meiner Sicht hängt das auch damit zusammen, dass es uns beiden schon vorher eher schwergefallen ist, bei den eigenen Bedürfnissen zu bleiben. Wir sind direkt in diesen Kümmermodus gegangen – ich für das Kind, aber auch für sie. Das hat nicht immer gestimmt, aber so war meine Haltung. Und erst dadurch, dass wir so komplett in diesem Für-andere-Dasein waren, haben wir gemerkt, wie wichtig es eigentlich ist, auch bei sich zu sein.
Faktisch gab es nur sehr wenig Zeit, in der wir uns hätten begegnen können, und wenn sie da war, waren wir oft gar nicht in der Lage, wirklich zu uns selbst zu kommen.
Dann hat sich ja auch der Körper wieder verändert. Du hast schon erwähnt, dass das Stillen schwierig war, deine Frau meinte sogar, dass ihre Brustwarzen dadurch verletzt waren. Wie hast du das erlebt – und konntest du sie in dieser Zeit unterstützen?
Ja, also mit der Brust, das war schon schwierig. Ich habe echt lange gebraucht, sie wieder als etwas Erregendes wahrzunehmen. Vorher fand ich das immer toll und aufregend, auch mit der Muttermilch. Aber während der Stillzeit hatte ich da Berührungsängste. Es war für mich schwer, weil ich das Gefühl hatte: Das ist jetzt die Brust des Kindes, nicht meine. Die Vorstellung, an derselben Brust zu saugen wie mein Sohn, fand ich nicht erregend.
Ich glaube, bei ihr ist das nach und nach verheilt, die Verletzungen vom Stillen sind besser geworden. Und für mich hat sich das erst verändert, als das Stillen vorbei war.
Beim Bauch war es anders: den habe ich eigentlich relativ schnell wieder als „normalen Bauch“ wahrgenommen. Das war für mich unproblematisch, irgendwann einfach wieder wie vorher.
Hattest du das Gefühl, dass es auch Raum für deine eigenen Gefühle gab?
Nee, den gab es, glaube ich, so richtig nicht. Das ist schwer zu sagen, weil das auch Dinge betrifft, die wir in unserer Partnerschaft einfach so stehen gelassen haben. So nach dem Motto: „Okay, das ist jetzt halt so.“
Darüber haben wir auch lange gestritten – wer wie viel Raum hat, für Gefühle oder überhaupt. Wir haben uns ja zwischendurch sogar getrennt und sind jetzt wieder zusammen.
Für mich waren es zwei Dinge: Erstens war ich in einem totalen Alarmzustand. Ich hatte ständig das Gefühl, mich kümmern zu müssen, immer bereit sein zu müssen – sonst wäre ich ein schlechter Mann und Vater. Vor allem ein schlechter Mann. Ich wollte auf keinen Fall so ein „ekliger Typ“ sein. Und als sie mir in einem Streit mal gesagt hat, ich würde mich wie so ein typischer alter weißer Mann verhalten, hat mich das extrem getroffen. Dadurch hatten meine Gefühle keinen Raum, weil ich sie gar nicht thematisieren konnte – das fühlte sich wie ein Totschlagargument an.
Und zweitens habe ich auch meinen Anteil daran. Ich habe nicht gut auf mich geguckt, konnte mich von ihren Sorgen und Ängsten nicht abgrenzen. Ich habe ihre Themen voll übernommen. Natürlich hatte ich auch Sorgen ums Kind und ob wir alles richtig machen, aber bei ihr war das noch stärker. Und ich konnte das nicht moderieren.
Wie alt war eurer Kind als ihr euch getrennt habt?
Da war er zweieinhalb.
Dann gab es also ungefähr ein halbes Jahr Pause, bevor ihr euch wieder angenähert habt. Jetzt zieht ihr in eine neue Wohnung und schaut, dass es dort Räume für euch als Individuen, als Paar und als Familie gibt. Stimmt das?
Ja, genau. Drei Zimmer, jeder kriegt ein Zimmer.
Und in der schwierigen Zeit damals – hattet ihr trotzdem Rituale oder besondere Momente, die dir wichtig waren, um Intimität zu pflegen? Oder ist das eher etwas, das jetzt neu entsteht, auch als Konsequenz aus der Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit, die du als eine Art Katalysator beschrieben hast?
Ja, also ich glaube, was wir gerade lernen, ist, dass wir uns diesen Raum bewusst schaffen müssen. Früher war Intimität einfach da, ein Selbstläufer. Jetzt muss man aktiv etwas dafür tun, sonst passiert es nicht.
Und das betrifft auch die kleinen Momente: eine Umarmung, ein Kuss, eine Berührung. Es geht darum, die bewusst wahrzunehmen und nicht nur nebenbei zu machen. Dass man sich wirklich entscheidet, so einen Moment der Nähe zu zelebrieren – auch wenn es nur ein Abschied ist.
Mit der Zeit ist es jetzt etwas leichter geworden, weil unser Kind älter ist und sein Schlafrhythmus regelmäßiger. Dadurch haben wir Abende, an denen wir uns bewusst Zeit für uns nehmen können. Das ist nicht immer so, aber manchmal reden wir dann länger miteinander, sind intim oder hängen einfach zusammen auf dem Sofa. Wichtig ist: es ist unser Raum.
Und wenn man eher der Typ ist, der abends müde ist – heißt das, ihr musstet euch nochmal extra Räume schaffen?
Ja, genau. Manchmal hat das bei uns funktioniert, weil meine Partnerin nicht mehr Lehrerin ist, sondern Arbeitslosengeld I bekommt, und ich freiberuflich arbeite. Mit der Hochschule ist es jetzt wieder anders, aber davor hatten wir auch vormittags Zeit.
Und das war echt schön, weil wir dann zum Beispiel mal im Garten waren und uns einfach einen Vormittag genommen haben. Da lagen wir zusammen im Bett im Gartenhaus, haben es uns gemütlich gemacht und nicht gearbeitet. Solche Momente gab es zum Glück ein paar Mal – und das hat uns auf jeden Fall geholfen.
Jetzt komme ich zu so einer großen Frage, und zwar, was ist Sexualität für dich und hat sich das verändert?
Was ist Sexualität für mich? Wenn ich darüber nachdenke, würde ich schon sagen, Sex ist erstmal eine intime Berührung. Dann könnte man fragen, was ist intim?
Es geht schon um eine sehr tiefe Körperlichkeit, obwohl ich auch sagen würde, man kann auch mit den Augen Sex haben, wenn man es darauf anlegt. Aber vor allem ist es schon etwas Körperliches, weil da ja was mit meinem Körper passiert, auch wenn man sich vielleicht gar nicht berührt, aber der Vorgang passiert ja in meinem Körper beim Sex. Da geht es um Lust, da kann es um Begehren gehen, auch um so eine ganz tiefe Art von Wohlfühlen und Zärtlichkeit. Ich würde jetzt eher so sagen, das ist so ein Komplex von einer Begegnung von zwei oder mehr Menschen. Etwas, was Lust schafft. Lust und Genuss und Freude kann auch dabei sein.
Jetzt könnte ich noch ein paar Beschreibungen liefern. Ich komme ja vom Theater her. Sex finde ich auch deswegen ganz toll, weil es ja schon etwas ist, wo man präsent ist, wo die Aufmerksamkeit geweitet ist. Nicht nur kognitiv, sondern auch körperlich, wo man sich in so einen Zustand bringt, wo man extrem sensibel und toll und tief wahrnimmt. Also wahrnimmt auch körperlich, im Sinne von fühlt.
Jetzt noch die Frage: hast du das Gefühl, dass sich dein sexuelles Wesen durch die Vaterschaft verändert hat? Wenn ja, wie?
Ja, auf jeden Fall. Die Geburt und die Zeit danach haben wie ein Katalysator gewirkt. Erst als unser Kind etwa anderthalb war, konnte ich meiner Frau zum ersten Mal direkt sagen, dass ich bisexuell bin. Sie wusste schon von früheren Erfahrungen, aber nicht so klar, wie sehr das zu mir gehört. Heute kann ich deutlich sagen: es ist beides – warum auch nicht?
Das kam auch durch die Schwierigkeiten in unserer Beziehung und Intimität. Es war für mich wie ein Ausbruch: eine Sexualität, die ich zu Hause nicht leben konnte. Daraus sind diskrete Treffen mit Männern entstanden. Nicht viele, aber eben geheim, und darauf bin ich nicht stolz. Ich hatte ihr davon auch nichts erzählt.
Aber im Rückblick: diese Erfahrungen haben mir geholfen, mein Begehren besser zu verstehen und Dinge zuzulassen. Ohne die Geburt und diese ganze Phase hätte es wahrscheinlich noch viel länger gedauert, bis ich das für mich anerkennen konnte.
Wie habt ihr es geschafft, die Kurve wieder zu bekommen – also so offen miteinander zu sein, neue Vereinbarungen zu treffen und Intimität auch über Ehrlichkeit zu pflegen? Gab es ein Schlüsselerlebnis, das diesen Wendepunkt möglich gemacht hat?
Ja, es gab da dieses eine Weihnachten, das für mich ein Einschnitt war. Ich war völlig überfordert und habe gesagt: „Ich will das nicht mehr.“ Ein paar Wochen vorher hatte ich in meiner therapeutischen Gruppe zum ersten Mal erzählt, dass ich mich heimlich mit Männern treffe. Damit hatte die Fassade, die ich so lange aufrechterhalten hatte, schon Risse bekommen.
Und ich glaube dieses: ich mache dann Schluss oder ich will mich trennen, das geht alles nicht, war noch so der letzte Versuch von einem Teil von mir das irgendwie zusammenzuhalten, das nicht ausbrechen zu lassen.
Als ich meiner Frau sagte, dass ich nicht mehr mit ihr zusammen sein will, ging es ihr natürlich sehr schlecht. Ich selbst war so fertig, dass ich im Treppenhaus vor der Dachbodentür lag und nur hörte, wie sie unten litt. Das war furchtbar. Weihnachten hat dann in mir gearbeitet – auch weil sie mir vorwarf, ich könne die Beziehung nicht beenden, ohne vorher alles versucht zu haben. Da habe ich gedacht: „Okay, wenn jetzt sowieso schon alles kaputt ist, dann sage ich es.“ Und ich habe ihr erzählt, dass ich mich mit Männern getroffen habe.
Ihre Reaktion war überraschend: Sie war neugierig, interessiert, fast begeistert. Sie sagte: „Erzähl mal, voll spannend!“ – und das war für mich unglaublich wichtig. Diese Offenheit, diese Neugier auf eine Seite von mir, die ich bisher versteckt hatte – das war der Moment, an dem ich das zum ersten Mal alles rauslassen konnte.
Ganz glatt wurde es aber nicht sofort. Ein Jahr später haben wir uns noch einmal getrennt, auch weil es ihr mit ihrer Arbeit sehr schlecht ging. Sie hat dann gekündigt, und ich war in meiner Therapie stark mit der Frage beschäftigt: Was will ich eigentlich? Beruflich, privat, überhaupt im Leben?
Die Kleinkindphase war vorbei, und ich hatte das Gefühl: Ich muss erst einmal wissen, wo ich selbst stehe und was ich brauche, bevor ich schauen kann, wie das in einer Beziehung geht. Dafür war die Trennung wichtig.
Wir waren in dieser Zeit auch in der Kinder- und Jugendtherapie, wo wir über unser Kind, aber auch sehr viel über unsere Beziehung gesprochen haben. Und dann kam für mich der Punkt, an dem ich dachte: „Jetzt bin ich soweit.“ Meine Frau hat in dieser Phase auch Dinge ausgesprochen, die mir gezeigt haben, dass sie gesehen hat, wie sehr sie mich verletzt hat. Das hat es mir möglich gemacht, zu sagen: Okay, jetzt kann ich verzeihen.
Noch eine Frage zu deiner Lust: Wann hast du am liebsten Sex – und eher Solo oder Paarsex?
Das ist eine gute Frage – und tatsächlich sehr unterschiedlich. Ich habe wahnsinnig gerne Sex nach dem Aufwachen. Wenn man noch so halbschläfrig ist, finde ich das super. Abends fällt es mir dagegen schwerer, gerade mit der Erschöpfung nach einem langen Tag. Morgens, in dieser Ruhe und Gemütlichkeit, wenn Intimität das Erste am Tag ist – das mag ich sehr, und das muss nicht immer gleich Sex sein, etwas Sexuelles und Intimes, das finde ich mega toll.
Für mich alleine ist es nochmal anders. Da ist es sehr variabel: es muss zeitlich passen, die Stimmung muss stimmen, manchmal ist es eher so ein „Das gönne ich mir jetzt“-Moment. Spannend finde ich, dass ich oft auch in einem Zustand von Müdigkeit leichter loslassen kann – vielleicht ist das sogar einer der Auslöser.
Wie geht ihr mit den Anforderungen des Alltags um, um euch jetzt Zeit für Intimität zu schaffen?
Ganz konkret heißt das: Wir versuchen beide, so wenig wie möglich zu arbeiten – also nur so viel, wie wir wirklich müssen oder manchmal auch wollen. Dadurch bleibt einfach mehr Zeit für Familie und für uns beide.
Das heißt auch, wir organisieren Zeiten, in denen das Kind nicht da ist. Im Moment holt meine Mutter ihn jeden Montag von der Kita ab und hat ihn bis abends. Da haben wir dann einen Nachmittag, den wir entweder für uns zusammen nutzen oder auch mal jede*r für sich.
Aber klar, das hat auch eine Kehrseite: Wenn man viel Zeit haben will, heißt das meistens auch, dass man weniger Geld hat. Und dann fallen eben Dinge weg, die früher für uns Intimität waren, weil sie einen Konsumaspekt haben. Zum Beispiel: mal einen Tag in der Therme machen oder essen gehen und von dort in so eine Stimmung reinzuschwingen – das ist jetzt finanziell einfach nicht mehr so leicht.
Und ich würde sagen, da haben wir schon auch noch Leerstellen, die wir noch nicht gefüllt haben – also eigene Sachen, die Intimität ermöglichen, ohne dass sofort Geld im Spiel ist.
Da fällt mir ein, du hattest auch erzählt, wie ihr die neue Wohnung und die Räume gestalten wollt – also so, dass man den Alltag abtrennt, dass Arbeit und Dinge, die noch rumliegen, nicht dauernd sichtbar sind. Mit großen Betten, vielleicht mit Vorhang, sodass man es sich schön machen kann.
Genau. Wir haben ja dann beide unser eigenes Bett, und klar, jedes Bett hat natürlich einen Schlaf- und Entspannungsaspekt. Aber es macht schon auch noch mal eine andere Qualität von Raum für Sexualität – also für mich und auch für meine Partnerin.
Bei ihr wird das zum Beispiel ein Podest, dann ein Schrank, der das so ein bisschen abtrennt, dazu zwei Wände und ein Vorhang, sodass man den Alltag nicht sieht. Das hilft total. Das haben wir jetzt auch schon ein Stück weit, nur der Vorhang fehlt noch – aber allein, wenn man nicht den Schreibtisch sieht, nicht die Arbeit, die noch gemacht werden muss, das verändert schon viel.
Und ich glaube, wir werden uns auch wieder um einen Garten bemühen. Für mich gehört da immer eine kleine Hütte dazu – und in der Hütte ein Bett. Das ist dann eben auch Rückzugsort. Und darauf habe ich auch Lust.
Klar, Zelten ist auch schön, aber für mich ist dieses Gemütliche, Komfortable manchmal wichtiger, um in die Stimmung zu kommen. Und da finde ich es einen total schönen Gedanken, dass wir uns so gegenseitig einladen können: zu dir oder zu mir? Das ist dann eben ein anderer Ort, nicht einfach nur unser gemeinsames Schlafzimmer. Wenn ich meine Partnerin in mein Bett einlade, dann bin ich Gastgeber. Und das fühlt sich nochmal ganz anders an.
Ja, da strahlst du. Das ist voll schön zu sehen.
Was möchtest du noch ergänzen zu der Frage: Welche Rolle spielt Selbstfürsorge in deinem Leben seit der Geburt deines Kindes und auch in deinem eigenen Prozess, der dadurch ja angestoßen wurde?
Ich glaube, dass ich erst durch Geburt und Kind wirklich verstanden habe, was das heißt. Vorher hatte Selbstfürsorge für mich oft so den Beigeschmack von: „Das ist eine Ausrede für Leute, die nicht für andere da sein wollen.“ Ich habe das zwar nicht gar nicht gemacht, aber es war nie wirklich positiv besetzt.
Das hat sich total verändert. Heute weiß ich, wie komplex dieser Begriff ist – dass es eben nicht nur heißt: „Ich fühl mich toll“, sondern dass da viel mehr drinsteckt. Das habe ich in den letzten Jahren schmerzhaft, aber auch dankbar gelernt. Und auch wenn es Höhen und Tiefen gibt, sehe ich da eine gute Entwicklung nach oben.
Gerade in der Beziehung zu meiner Partnerin, aber auch zu unserem Kind, ist mir klargeworden: Selbstfürsorge ist eine Bedingung für Beziehung. Wenn ich nicht dafür sorge, dass es mir gut geht, dann bleibe ich irgendwann stehen, weil ich mich nur noch an den Bedürfnissen anderer orientiere. Aber echte Tiefe und Freude in Beziehungen entstehen nur, wenn ich auch gut für mich selbst sorge.
Meine Therapeutin sagt immer: „Liebe ist ein Kind der Freiheit.“ Und ich kann eine andere Person nur lieben, wenn ich das freiwillig tue. Das geht nur, wenn ich weiß, was ich möchte und brauche. Dann kann ich sagen: „Das ist so toll, so will ich leben – und ich will, dass die andere Person Teil davon ist.“ Wenn ich aber nur für andere lebe, ist das keine freie Liebe mehr, sondern Pflicht.
Wie wichtig ist dir sexuelle Autonomie – und wie lebst du sie heute, auch als Vater?
Sexuelle Autonomie ist mir sehr wichtig. Das hängt für mich wieder mit Freiheit zusammen. Ich möchte frei entscheiden können, ob und wann ich Intimität lebe – und nicht das Gefühl haben, ich muss jetzt. Dieses Muss wirkt wie eine Bremse.
Als Vater kommt dazu, dass die Zeiten für Intimität einfach begrenzt sind – sowohl mit meiner Partnerin als auch für mich allein. Früher war das spontaner, heute ist alles stärker eingebettet in Alltag und Organisation. Auch gesellschaftliche Räume, in denen Intimität oder Begegnung entstehen – Clubs, Kino, Abendveranstaltungen – sind schwer vereinbar mit einem Kind. Das bedeutet automatisch Aufwand.
Dadurch bin ich nicht mehr ganz so autonom im Sinne von völlig frei, aber es hat auch eine positive Seite: Ich verschwende keine Zeit mehr mit Dingen, die ich gar nicht will. Viele Larifari-Sachen, die ich früher aus Gewohnheit oder weil „man das so macht“ mitgemacht habe, fallen weg. Jetzt geht es mir mehr ums Wesentliche.
Das heißt: Wenn Begegnungen stattfinden – ob flirtig mit anderen oder intim mit meiner Partnerin – dann mit Bewusstsein. Zeit ist kostbar, also bitte sinnvoll nutzen. Natürlich klappt nicht immer alles, aber der Fokus hat sich verändert: Weniger Pflicht, mehr Klarheit, mehr Freiwilligkeit.
Gibt es noch etwas, das dir wichtig ist zu teilen – vielleicht gerade jetzt im Prozess des Interviews?
Ja, was mir noch einfällt, betrifft die Geburt und die Entscheidung für ein Kind. Für mich war das damals eine sehr klare, bewusste Entscheidung: Ich möchte das, weil ich wusste, dass darin ein Raum für Entwicklung und Wachstum liegt – für mich ganz persönlich. Es ging mir dabei weniger um die romantische Vorstellung „Kinder sind so toll“, sondern vielmehr darum, dass ich mir sagte: Da werde ich vor große Herausforderungen gestellt, und daran wachse ich. An meinem Kind, an mir selbst, an der Beziehung.
Und ich finde es total schön, dass sich das auch wirklich eingelöst hat. Vielleicht lag es daran, dass ich von Anfang an mit dieser Offenheit und Bereitschaft hineingegangen bin, Dinge zu verändern. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass die Geburt und das Aufziehen von unserem Kind mein Leben sehr viel reicher gemacht haben – und auch meine Beziehung zu meiner Partnerin und zu mir selbst. Viele dieser Themen wären ohne Kind wahrscheinlich nie so deutlich geworden. Insofern: ein großartiger Katalysator.
Ja, was für ein wunderbares Schlusswort.
Vielen Dank für deine Zeit.