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OrgasMuss?!

orgasmus
OrgasMuss?!

 

Wenn wir einem Kind die Frage stellen würden „Was ist Sexualität für dich?“, würde die Antwort in den meisten Fällen wohl lauten: „Ein Mann steckt seinen Penis in die Scheide der Frau.“ Und auch für die meisten Erwachsenen ist Sex genau das – eine sehr eng gefasste und heteronormative Definition, die die Vielfalt des sexuellen Erlebens auf ein Bild aus dem Biologiebuch reduziert.
Und am Ende steht der Orgasmus! Wie für viele Menschen Sex gleich Penetration zu sein scheint, ist wohl der Orgasmus (neben dem Kinderwunsch) oft der einzige Grund, warum Menschen überhaupt Sex haben. Entweder für den eigenen Orgasmus oder für den des/der Partner*in. Ohne den Orgasmus ist der Sex nicht richtig, nicht beendet. Er ist ein Muss!

Einerseits verständlich! Orgasmen sind toll! Sie können dich einen Moment lang alle Sorgen vergessen lassen; der ganze Stress im Alltag, in der Beziehung, mit dir selbst, kann sich entladen. Und dein Körper ist danach so herrlich entspannt! Orgasmen können wie ein Feuerwerk sein, einen ganzen Ozean der Empfindungen und Gefühle hervorrufen und uns ins Weltall katapultieren. Und für viele Menschen ist es die Krönung, das gemeinsam zu erleben, sich dabei vielleicht sogar in die Augen zu schauen und alle Körperzellen miteinander verschmelzen zu lassen … Ekstase pur!

Die Krux ist dabei nur: Umso mehr du diese Ekstase willst, desto unwahrscheinlicher wird es, dass du sie erreichst. Denn wenn Sex gleich Orgasmus ist, baut sich Leistungsdruck auf. Das hält dich davon ab, den Sex zu genießen. Wenn du immer den Orgasmus als Ziel vor Augen hast und darüber nachdenkst, wie du ihn erreichst, bist du nicht im Moment und bei dem, was du gerade spürst. Die Konzentration auf das Spüren deines Körpers ist jedoch der Schlüssel zur Ekstase!
Also heißt es loslassen! Alle Vorstellungen, Erwartungen, Wünsche loslassen und dich auf das zu konzentrieren, was du hier und jetzt spürst.

Doch das ist nicht so leicht, wenn wir ständig bombardiert werden mit dem, was andere angeblich beim Sex erleben. Alle Menschen um uns herum scheinen doch Ekstase zu erleben! Mindestens diejenigen, die wir in Filmen und Pornos sehen. Da läuft es schön nach Drehbuch: Zwei oder mehr Menschen begehren sich und sind erregt. Manchmal schwelgen sie in Gefühlen, manchmal sind sie einfach nur geil. Sie berühren sich auf verschiedenste Art und in vielfältigen Positionen, am Ende hat es aber meistens irgendwie mit Penetration (manchmal auch mit Circlusion – ein alternatives Wort für das aktive Aufnehmen und Umschließen) zu tun. Die Erregung steigt, sie stöhnen lauter, auf jeden Fall kommen sie irgendwann und meistens gleichzeitig. Schließlich sinken sie erschöpft und glücklich in die Kissen. Im Porno ist der Orgasmus besonders sichtbar, weil er – manchmal auch sie – eigentlich immer dabei abspritzt. Möglichst viel Flüssigkeit auf irgendwelche Körperteile – das ist das große Finale!

Solche Bilder prägen sich ein. Kein Wunder also, dass wir meinen, Sex sei Penis in Vagina in allen möglichen Varianten, und der krönende Abschluss sei der Orgasmus. Das ist die Sex-Schablone in unserem Kopf, der Fahrplan, an den sich unser Körper hält, die Performance, die wir glauben erbringen zu müssen. Und wenn wir keinen Orgasmus haben oder den/die Partner*in nicht zum Orgasmus bringen?! Dann haben wir versagt, denken wir. Etwas „funktioniert“ nicht so wie es soll. Wir sind nichts wert.
Aber warum nur stellen wir uns erstmal selbst in Frage?! Warum stellen wir nicht die Konzepte in Frage, die für uns offensichtlich nicht „funktionieren“?! Warum fragen wir uns nicht zuallererst:
Was ist überhaupt Sexualität für mich? Und was ist eigentlich ein Orgasmus?!

Für manche Menschen ist ein Kuss das Intimste, was sie sich vorstellen können. Manche lieben es, sich stundenlang gegenseitig den ganzen Körper zu massieren und schweben dabei auf Wolken. Und manche Menschen mögen es am liebsten, wenn an ihren Genitalien gesaugt oder geleckt wird oder dies bei anderen zu tun. Ist das alles etwa kein Sex?!

Und auch was den Orgasmus angeht, gibt es so viel mehr zu entdecken, als die vorherrschenden Vorstellungen zulassen. Es gibt eine unglaublich große Bandbreite an möglichen orgasmischen Erfahrungen, von der die meisten Menschen nichts wissen, weil das nicht gezeigt oder darüber gesprochen wird und sie oft nur eine oder vielleicht zwei Möglichkeiten kennengelernt haben. Vielleicht hast du Orgasmen, aber würdest sie nicht so bezeichnen, weil sie nicht dieser „Norm“ entsprechen. Oder du konzentrierst dich darauf etwas zu erreichen, was dir eigentlich gar nicht entspricht. Wenn du versuchst, etwas Vorgegebenem zu entsprechen, nimmt dir das die Offenheit und Kreativität, alle möglichen Erfahrungen zu machen und zu entscheiden, was dir am besten gefällt.

Also raus aus der Orgasmusfalle! Denn dieser Druck, etwas erreichen zu müssen, behindert unsere Lust! Je mehr wir denken, wir müssten etwas dafür tun, um mehr zu spüren, desto mehr gerät unser Nervensystem in Stress und desto weniger spüren wir! Das eigentliche Geheimnis der Ekstase ist: Je weniger wir TUN, desto mehr werden wir SEIN. Und je weniger wir DENKEN, desto mehr werden wir SPÜREN! Tatsächlich geht es also gar nicht so sehr darum, viel Neues auszuprobieren im Sinne von neuen Stellungen, Techniken, et cetera. Sondern es geht erst einmal darum, deinen eigenen Körper neu zu entdecken. Und dabei weniger zu machen, langsamer zu werden und dich mehr auf das Spüren zu konzentrieren. Und das Ganze mit Freude und Leichtigkeit! Denn dann bist du entspannt, dein ventraler Vagusnerv ist aktiv und Lernen sowie Veränderung sind überhaupt erst möglich. Dann kannst du entdecken, wie viel bisher ungenutztes Potential in deinem Körper noch schlummert. Plötzlich entsteht ein Kribbeln, Pulsieren, Wirbeln in einer Situation oder an einer Körperstelle, wo du es nicht erwartet hattest!

Das kann ganz schnell gehen. Vielleicht dauert es aber auch ein wenig und du nimmst erstmal wahr, wie wenig du dich spürst. Vielleicht geht es auch erstmal darum, zu entdecken, was es überhaupt für dich braucht, um dich so sicher und entspannt zu fühlen, dass du dich wirklich ganz auf dein körperliches Spüren konzentrieren kannst. Und vielleicht brauchst du auch professionelle Begleitung, weil sich bisherige Erfahrungen so festgesetzt haben in deinem Körper, dass sie neue Erfahrungen blockieren.

Aber egal, was du bisher erlebt hast und egal, wie wenig du bisher spürst und wie sehr du in eingefahrenen Mustern steckst, Veränderung ist möglich, auch für dich! Auch dir steht die Welt der vielfältigen orgasmischen Erfahrungen offen. Du musst dich nur trauen, die ersten Schritte zu gehen und langsam, bewusst und selbstbestimmt deinen ganz eigenen orgasmischen Weg zu finden. Und zwar nicht nur beim Sex, sondern auch in Momenten in deinem Leben, in denen es scheinbar gar nicht um Erregung geht: Momente, in denen du dich und deinen Körper spüren und dich ganz auf dein Erleben konzentrieren kannst. Sei es entspannt auf dem Sofa oder beim Laufen im Wald, beim sinnlichen Genießen eines leckeren Essens oder beim Hören inspirierender Musik, in der warmen Badewanne oder unter einer eiskalten Dusche. So kommst du dem auf die Spur, was wir mit „orgasmisch leben“ meinen.

Und je mehr du auch im Alltag übst dich zu spüren, desto mehr spürst du dich auch beim Sex! Du wirst staunen, welche Orgasmen und welche Ekstase dann auf einmal möglich werden!