Brüste, Frauen, Geschichten

100 Frauen, ihre Brüste, ihre Geschichten

 

„bare reality: 100 women, their breasts, their stories” (Nackte Realität: 100 Frauen, ihre Brüste, ihre Geschichten) von Laura Dodsworth gibt es unseres Wissens leider bisher nicht auf Deutsch, wir möchten es dennoch hier gerne vorstellen.

Laura Dodsworth hat auch noch die Bücher „womanhood: the bare reality“ und „manhood: the bare reality” veröffentlicht. Und allen drei Büchern ist gemeinsam, dass sie die Vielfalt zeigen: die Vielfalt von Körpern und ihren Geschichten. Es werden die Bilder von Menschen gezeigt, das heißt von ihren Körpern, ihren Brüsten bzw. ihren Genitalien. Ihre Gesichter sieht man nicht, sie bleiben anonym. Und das macht es vielleicht möglich, dass sie so ehrlich ihre Geschichten erzählen: die Geschichten ihrer Brüste bzw. ihrer Genitalien.

In dem Buch über Brüste heißt es im Vorwort von Soraya Chemaly: „Als Mädchen und Frauen lernen wir oft, über unsere sich verändernden Brüste aus der Perspektive zu denken, wie sie sich für andere Menschen anfühlen – insbesondere für Männer und Babies. Mit anderen Worten: Unterhalb der Gedanken an BHs und Badeanzüge denken wir an uns in Begriffen wie Sex oder Opfer, nackt und entblößt oder tröstend und nährend.“

Laura Dodsworth zeigt „Frauen von 19 bis 101 Jahre alt, Frauen mit gesunden Brüsten, oder Frauen die Brustkrebs hatten, Frauen verschiedener Ethnien und aus allen Gesellschaftsschichten, Brüste in allen Formen und Größen, heterosexuelle, lesbische, bisexuelle, asexuelle und Transfrauen.“ Über die Bilder und in den Texten erzählen sie von der Liebe und der Beziehung zu ihren Brüsten und auch von den Schwierigkeiten diese so anzunehmen und so schön zu finden wie sie sind („zu“ klein, „zu“ groß, „zu“ hängend, „zu“ asymetrisch). Sie erzählen von den Reaktionen anderer Menschen auf ihre Brüste und was das mit ihnen gemacht hat. Sie erzählen von Schönheits-Operationen und Umgang mit Krankheit und amputierten Brüsten.

Vielen Dank an diese Frauen, die sich so ehrlich nackt zeigen. Ich schließe mich Soraya Chemaly im Vorwort an: „Die hier versammelten Geschichten sind sowohl eine markante Gegenerzählung zur Objektivierung als auch eine lautstarke Ablehnung der Auswirkungen davon. … Ich bin Laura für diese erfrischende, radikale und aufschlussreiche Subjektivierung dankbar.“

Pornopositiv

Pornopositiv von Paulita Pappel
Ein Plädoyer für eine pornopositive Gesellschaft

 

Mit ihrem Buch „Pornopositiv“, das letztes Jahr erschien, hat Paulita Pappel meinen Porno-Horizont erweitert und so einige meiner bisherigen Vorurteile in Frage gestellt.
Und wenn sich ein Mensch mit dem Porno-Business auskennt, dann Paulita. Sie ist Pornodarstellerin, -regisseurin, -produzentin und Intimitätskoordinatorin. Sie leitet zwei Pornoplattformen und ist Ko-Kuratorin und Ko-Organisatorin des Pornfilmfestivals Berlin.
Über ihr Buch schreibt sie: „Dieses Buch ist eine wahre Geschichte über meinen eigenen sexuellen Weg und über Sex vor und hinter den Pornokulissen. Es ist ein Plädoyer für sexuelle Selbstbestimmung und eine Ressource, um die Welt sexuell freier zu gestalten.

Dafür braucht es ihrer Meinung nach eine „differenzierte öffentliche Debatte“ über Pornos. Sie findet es wichtig „pornopositiv“ zu sein und definiert das folgendermaßen:
„Pornopositiv heißt, auf einer gesellschaftlichen sowie persönlichen Ebene die Scham und die Angst gegenüber expliziter Sexualität abzulegen, die Vielfalt von Körpern, Sexualitäten und Sexualpraktiken anzuerkennen und die Darstellung davon in all ihrer Diversität zu fördern, Fantasien als gesunden Teil der menschlichen Sexualität zu verstehen und für Aufklärung zu sorgen. Und dabei die sexuelle Selbstbestimmung als Menschenrecht zu definieren und zu schützen und Einvernehmlichkeit als unabdingbaren Grundsatz zu etablieren.

Sie schreibt über Scham, Erotik und Wiederaneignung des eigenen Körpers, sowie über sexualisierte Gewalt, Ethik und Konsens.

Was mich an Paulitas Ansatz unter anderem begeistert, ist die Idee Pornos aus der Schmuddel- und Heimlichkeitsecke herauszuholen und sie für Aufklärung zu nutzen. Gerade bei jungen Menschen, die ja sowieso mehr über das Internet lernen als über irgendetwas anderes, ist das eine wunderbare Gelegenheit! Warum nicht altersgerecht Pornos für sie so gestalten, dass sie darüber ein positives Bild von Sexualität bekommen und sich trauen ihre eigenen Wünsche zu erforschen?! Aufklärung über Anatomie und Diversität von Körpern und Genitalien, über Mythen, Konsens, Safer Sex und anderes könnte dabei eine Rolle spielen. Und auch im Sexualkundeunterricht sollte über Pornographie gesprochen werden und darüber, dass Porno nicht gleich Porno ist!

Paulita Pappel will Porno neu definieren. Für sie setzt Pornografie Einvernehmen voraus. „Denn alles, was nicht im gegenseitigen Einverständnis stattfindet, ist keine Pornografie, sondern eine Straftat.“ Und es ist spannend, was sie über ihre Arbeit als Intimitätskoordinatorin berichtet. Zum Beispiel wird sich beim Bodymapping jede*r Darsteller*in aller Körperbereiche bewusst, indem er/sie sich berührt und die eigenen Vorlieben und Grenzen kommuniziert. Davon könnten sich viele Menschen für ihr privates Sexleben einiges abschauen.

Wir sollten damit aufhören „Pornos zum Sündenbock für Sexismus zu machen“, meint Paulita. Als Frau Pornos zu drehen, ist für sie revolutionär. „Pornos zu drehen unterwandert die Logik, die Frauen immer als potenzielle Opfer einer männlichen Sexualität ansieht. In einer patriarchalen Vergewaltigungskultur wird Frauen ein aus ihnen selbst kommender Sexulatrieb abgesprochen. … Revolutionär ist es, das umgekehrt zu denken: Anstatt uns zum Schutz zu verstecken, zeigen wir uns in unserer Sexualität, wir leben sie aus. … Wir sind nicht sexuell verfügbar, wir sind sexuell selbstbestimmt.

Weiter so, Paulita! Wir wollen noch viele Pornos von dir sehen!

Klitoris

Klitoris
Clit. Die aufregende Geschichte der Klitoris

 

Dieses Werk von der Kulturwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin Louisa Lorenz wird zu einem der Bücher, die wir allen Menschen, die sich für ihren Körper, ihre Sexualität und die Geschichte der Geschlechterbeziehungen interessieren, zukünftig dringend empfehlen werden.

„Das Wissen über die Klitoris ist tatsächlich für uns alle relevant, denn es berührt unser aller Leben auf unterschiedlichen Ebenen. Auf der größeren Ebene unserer Gesellschaft geht es zunächst einmal einfach um die Gleichbehandlung von Menschen und Körpern. … Außerdem werden aus der ungleichen Repräsentation von Penis uns Klitoris auch unterschiedliche Vorstellungen von „männlicher“ und „weiblicher“ Sexualität abgeleitet und verfestigt. … Die Vorstellung, dass Penis und Vagina nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip zueinanderpassen, ist außerdem ein Bild, bei dem eine fortpflanzungs- und nicht eine lustorientierte Sexualität im Vordergrund steht.“

Als ich das Buch zuerst in die Hand nahm, nahm ich an, dass es sich einreihen würde in die Stimmen, die seit Jahren bei der Wiederentdeckung der Klitoris als Lustorgan die Orgasmusfähigkeit über die Vagina in Frage stellen. Seit Beginn von Orgasmic Woman versuchen wir der Vagina wieder eine Bedeutung in der weiblichen Sexualität zu geben; eine Gleichwertigkeit neben der Klitoris. Wir wünschen uns eine Wertschätzung unseres gesamten Geni(t)als und keine Hierarchie!
Ich überflog das Buch daher zuerst nur, blieb aber bei dem Kapitel „Die Abwertung der Vagina“ hängen. Da schreibt Louisa: „Den Feminist*innen, deren Ziel es war sich gegen all das aufzulehnen, was die vaginale Sexualität zu diesem Zeitpunkt repräsentierte, kamen Studien sehr gelegen, die eine Unempfindlichkeit der Vagina wissenschaftlich bestätigten. … Die Unempfindlichkeit der Vagina zu betonen, sollte Frauen darin bestätigen und ermutigen, sich einer Sexualitätsnorm zu widersetzen, die ihre Lust nicht bedachte.“ Und sie kommentiert das mit den Worten: „Zu sehen, dass gerade Frauen in einem feministischen Kontext ihren eigenen Körper so sehr abwerteten, macht mich persönlich trotzdem traurig.“

Daraufhin beschloss ich das Buch zu lesen. Und tatsächlich habe ich noch einiges gelernt. Louisa bringt in ihrem Buch nicht nur sehr detaillierte Fakten zur Anatomie der Klitoris, sie setzt sich wie wir auch sehr differenziert mit der Sprache auseinander. Sie schreibt außerdem über unsere Defizite im Lernen von Sexualität, über die Wichtigkeit der Kommunikation, über das Unwissen der Mediziner*innen und über Medizingeschichte, unter anderem zu unserem Umgang mit der Praxis der Klitorisentfernung. Und sie schreibt eine Kulturgeschichte der Klitoris, wobei sie sich schließlich auch mit neuen Mythen, wie der Erfindung des Vibrators und dem vaginalen Orgasmus laut Freud auseinandersetzt.

Es bleibt ein Buch über die Klitoris. Louisa schreibt kaum etwas zur eigentlichen Anatomie der Vagina und ihrer möglichen Sensibilität. Und auf ihren letzten Seiten zu unserem heutigen eingeschränkten Verständnis von Sexualität und des Orgasmusdrucks würde ich mir wünschen, dass sie diesen „OrgasMuss“ noch mehr als Konzept hinterfragt, so wie sie anderes in ihrem Buch kritisch hinterfragt. Aber das, was sie schreibt, zur Klitoris und ihrer Geschichte, habe ich so detailliert und differenziert noch nie gelesen und ist für mich daher ein absolutes Muss!

Vaginaler Orgasmus?

vaginaler orgasmus
Frage bei einer Lesung:

 

“Wie kann ich vaginal zum Orgasmus kommen?”

Unsere Antwort:

 

Das ist eine Frage, die uns sehr oft gestellt wird. Viele Frauen bzw. Menschen mit Vulvina haben es für sich entdeckt und gelernt (oft schon in der Jugend) über äußere Berührungen der Vulva zum Orgasmus zu kommen. Über innere Berührungen der Vagina fällt es vielen schwer. Und das ist auch kein Wunder, denn unsere Vagina ist ja ein Innenraum, der generell eher selten berührt wird und daher erst sensibilisiert werden muss, wenn wir dort etwas spüren wollen.

Unsere eigenen Erfahrungen, und die vieler Frauen aus unserer Praxis, zeigen, dass unsere Vagina sehr viel spüren kann, wenn sie regelmäßig stimuliert wird. Durch wiederkehrende Impulse kann sich das Nervensystem entwickeln und stärken. Und entgegen des aktuell sehr präsenten neuen Mythos, dass jede Erregung über die Klitoris (und daher über den Pudendusnerv) läuft, sind wir der Meinung, dass in der Vagina noch andere Nerven eine Rolle spielen müssen. Denn es gibt definitiv Orgasmen, die sich ganz anders anfühlen als diejenigen, die über die Berührung der Klitoris (ob äußerlich oder innerlich) ausgelöst werden. Das ist allerdings bisher nicht ausreichend erforscht. Uns ist nur eine Studie (Komisaruk 2005) bekannt, in der festgestellt wurde, dass auch Frauen mit kompletten Rückenmarksverletzungen durch vaginale Stimulation Orgasmen erleben können, die zu der Vermutung führte, dass der Vagusnerv daran beteiligt sein könnte. Mehr dazu in unserem Buch.

Unsere Empfehlung ist also deiner Vagina möglichst viel Berührung zu schenken. Dabei können Sextoys helfen (siehe auch unser Einstiegs-Coaching mit Sextoy oder auch gleich das Coaching inklusive Pulsator). Viel Freude dabei!

Auf unseren Lesungen laden wir auch immer dazu ein uns Fragen zu stellen, die wir dann beantworten. Wir freuen uns immer über diese Fragen und möchten sie auch hier gerne nochmal für euch beantworten.

Wenn du auch eine Frage an uns hast, schreib uns gerne an info@orgasmic-woman.com!

Orgasmus ohne Anstrengung

Orgasmus ohne Anstrengung
Frage bei einer Lesung:

 

“Wie kann ich zum Orgasmus kommen, ohne mich enorm zu konzentrieren, also eher körperlich als Kopf technisch?”

Unsere Antwort:

 

Wir empfehlen als Erstes immer das Orgasmusziel loszulassen. Denn solange du dich darauf konzentrierst einen Orgasmus haben zu wollen, bist du mit deiner Aufmerksamkeit in der Zukunft und du bist sehr im Kopf. Was dir einen Orgasmus aber ermöglicht, ist das Spüren deines Körpers in der Gegenwart, im Hier und Jetzt.

Außerdem sind viele Menschen, gerade wenn es für sie nicht so leicht ist, zum Orgasmus zu kommen, sehr angespannt. Wenn wir dauerhaft angespannt sind, ist es schwieriger in Erregung zu kommen und wir spüren auch nicht so viel.

Der Weg darf also erstmal in der Entspannung liegen und in der Konzentration auf das, was du im Hier und Jetzt in deinem Körper spürst.

Und dann kannst du erforschen, was sich alles angenehm und erregend für dich anfühlt. So kannst du deine Möglichkeiten erweitern in deine Lust zu kommen und verschiedene Wege zum Orgasmus kennenlernen.

Da können dir unser Buch oder unsere Coachings und Workshops viele Impulse geben.

Auf unseren Lesungen laden wir auch immer dazu ein uns Fragen zu stellen, die wir dann beantworten. Wir freuen uns immer über diese Fragen und möchten sie auch hier gerne nochmal für euch beantworten.

Wenn du auch eine Frage an uns hast, schreib uns gerne an info@orgasmic-woman.com!

Circlusion

Circlusion statt Penetration
Frage bei einer Lesung:

 

“Wie war das Pseudonym für <<Penetration>>, das Mara verwendet hat und was bedeutet es?”

Unsere Antwort:

 

Das Wort heißt “Circlusion” und kommt von lateinisch “circlus” → “circulus” = Kreis.

Circludieren bezeichnet das aktive Aufnehmen und Umschließen eines Fingers, Dildos oder Penis durch die Vagina. Es hat damit eine andere Qualität als der gewöhnlich verwendete Begriff “Penetration”. Hierbei geht es eher um ein selbstbestimmtes Aufnehmen – die Vagina wird aktiv.

Vielleicht magst du in Zukunft mal ganz bewusst darauf achten, wann deine Vagina etwas circludieren möchte.

Dieses und anderes Wissenswertes findest du auch in unserem Buch.

Auf unseren Lesungen laden wir auch immer dazu ein uns Fragen zu stellen, die wir dann beantworten. Wir freuen uns immer über diese Fragen und möchten sie auch hier gerne nochmal für euch beantworten.

Wenn du auch eine Frage an uns hast, schreib uns gerne an info@orgasmic-woman.com!

Konsens ist sexy

Konsens ist sexy

 

Nadine Primo, freie Autorin, Speakerin und Bloggerin, vor allem zu den Themen Bisexualität, Diversität, weibliche Lust und mentale Gesundheit, hat ein Buch zum Konsens geschrieben. Es heißt „Konsens ist sexy. Von persönlichen Grenzen und weiblicher Lust“.
Es ist ein sehr persönliches Buch geworden und damit auch sehr mutig und so vehement, wie es dieses Thema braucht.

Sie beginnt nämlich über ihre Kindheit und die Rolle der Ursprungsfamilie in ihrem Leben zu schreiben. Dabei hat mich vor allem berührt, wie sie viele Jahre unter der Ignoranz und fehlenden Sorgfalt von Ärzten leiden musste, die nicht erkannten, dass sie eine Rippe zu viel hatte, die ihr zunehmend große Schmerzen bereitete.
„Als Andenken an die sechs Jahre habe ich, neben einer Fehlhaltung … und einem Loch im Brustkorb … das Gefühl behalten, dass ich meine negativen Gefühle besonders energisch und laut kommunizieren muss, weil mir eventuell nicht geglaubt werden könnte.“
Eine Form von Medical Gaslighting: „Es hat insgesamt sechs Jahre gedauert, bis ich operiert und von den täglichen Schmerzen erlöst wurde. Bis dahin wurde meine Wahrnehmung immer wieder verzerrt, mir mein Leid abgesprochen; meine Symptome nicht ernst genommen … Das hat Spuren hinterlassen, tiefe Spuren.“

Im medizinischen Kontext, in Bezug auf ihren Körper, hat sie also leider schon als Kind keinen Konsens erfahren. Sie wurde nicht ernst genommen, ihre Grenzen oft nicht geachtet.

Sie schreibt auch über das Helfersyndrom als eine Art von Kompensation: „Die eigene Hilfsbedürftigkeit und die eigenen Schwächen werden verleugnet sowie Gegenseitigkeit und Intimität in Beziehungen vermieden.“ Eine, wie ich finde, treffende Beschreibung.

Als Erwachsene versteht sie dann, wie sie außerdem von patriarchalen, sexistischen und heteronormativen Strukturen geprägt ist. „Aus diesen Mustern und Strukturen muss Mensch sich erst einmal befreien. Der Schwerpunkt meiner Arbeit verlagerte sich: Konsens, weibliche Lust und ihre Grenzen, sexuelle Selbstbestimmtheit und gleiche Rechte für alle Geschlechter standen fortan und stehen nach wie vor bei mir im Fokus. Das Ziel: selbstbestimmt(e) weibliche Lust leben.“

Und warum das Thema Konsens gerade für die weibliche Sexualität so wichtig ist, erklärt sie so: „Das Thema weibliche Lust wurde immer wichtiger für mich, auch in meiner Arbeit als Autorin, denn ich begriff, dass hier weiterhin viel Unkenntnis und gefährliches Halbwissen in den Köpfen vorherrschen. Noch immer taucht weibliche Lust meistens im Kontext männlicher Lust auf und ist dafür da, ebendiese zu befriedigen, statt die eigene in den Vordergrund zu stellen. Aufgrund dessen kommt es immer wieder zu Erwartungshaltungen gegenüber Frauen, die zu grenzüberschreitenden Situationen führen können – wenn im Vorhinein kein Konsens eingeholt wird.“

In ihrem Buch erzählt sie von ihren eigenen Beziehungen und bringt Beispiele anderer. Es geht um Bisexualität und alternative Beziehungsmodelle und sie setzt sich auseinander mit sozialen Medien, Mainstream-Porno und Online-Dating. Vor allem geht es dabei immer wieder um die Schwierigkeit Grenzen zu setzen und Bedürfnisse zu kommunizieren, wenn wir uns Abhängigkeitsverhältnisse nicht bewusst machen.

Über ihre Bisexualität schreibt sie: „Auch wenn es lange Zeit eine Herausforderung für mich war, bisexuell zu sein, so ist es jetzt nur noch eins: ein Geschenk. Das Geschenk, auf alle Geschlechter zu stehen und allein dadurch mehr Diversität zu (er-)leben. … Ich verliebe mich in Menschen, nicht in Geschlechtsteile.“

Was Nadine Primo an eigenen persönlichen Erfahrungen schildert, ist immer wieder heftig, immer wieder geht es ums Scheitern, besonders zum Ende des Buchs, wenn es um die Beziehung mit einem depressiven Partner geht. Aber letztendlich geht es ihr nicht darum schwarz zu sehen: „Wahrscheinlich ist es das, was ich am Ende eigentlich sagen will: Achtet mehr aufeinander, redet miteinander statt aneinander vorbei und versucht, andere Menschen wirklich zu verstehen. Selbst eine demokratische Gesellschaft kann erst dann wirklich frei sein, wenn Diversität auf Augenhöhe gelebt wird. Nur das würde Freiheit für jede*n Einzelne*n bedeuten.

Ja, unbedingt! Vielen Dank für dieses wichtige Buch, Nadine Primo

Ist das normal?

Ist das normal - Melanie Büttner
Ist das normal?

 

Das Buch „Ist das normal?“ mit dem Untertitel „Sprechen wir über Sex, wie du ihn willst“ von Melanie Büttner, Alina Schadwinkel und Sven Stockrahm ist aus dem Sexpodcast auf ZEIT ONLINE mit dem gleichen Namen entstanden: eine Art Sprechstunde, bei der Menschen fragen zu Sex stellen können.

Dabei geht es um Fragen wie: Wer bin ich? Wer will ich sein? Was ist für mich guter Sex? Mit wem will ich Sex haben?. Es geht um Pornos und Phantasien, um Slow Sex und Sinnlichkeit, um BDSM und Fetisch, um sexuelle Identität und Orientierung.
Es geht um den Körper, um Anatomie, um Schönheit und Vielfalt, auch um Operationen und Piercings, Safer Sex und Krankheiten.

Schön, dass hier nicht nur die Vulva/Vagina/Klitoris und der Penis, sondern auch der Anus und der Aufbau des Beckenbodens vorgestellt wird. Nicht so schön, dass bei der Zeichnung des Beckenbodens wieder die KLEINEN und GROßEN SCHAMlippen auftauchen, die bei der Vulva Zeichnung INNERE und ÄUßERE VULVAlippen heißen, wie es eigentlich sein sollte!

Und es geht um Kommunikation beim Sex, Beziehungsdynamik und um Seitensprünge, Monogamie oder nicht, Dating-Apps und Online-Sex bis hin zu Problemen beim Sex, wie Erregungs- oder Orgasmusstörungen, fehlende Erektionen oder vorzeitige Ejakulation. Für diese werden hier verschiedene Gründe angeführt: vom Stress über den Einfluss von Pornos oder Drogen, bis hin zu körperlichen oder psychischen Problemen.

Das Buch endet mit dem Thema sexueller Gewalt und einer Liste von Therapie- und Beratungsstellen.

Ein sehr vielfältiges und umfassendes Buch also zum Thema Sexualität, das viele wertvolle Impulse und Hilfestellungen gibt (z.B. eine Liste mit 8 Zutaten für großartigen Sex, die sehr treffend ist). Und es gibt nur weniges, mit dem ich nicht einverstanden bin (z.B. mit dem Umgang mit Phantasien).

Letztendlich wollen die Autor*innen vor allem vermitteln, dass es „in der Sexualität nicht darum geht normal zu sein oder normal zu werden, sich einem Standard anzupassen. Es geht darum, zu finden, was einem selbst gefällt. Die eigenen Sehnsüchte ernst zu nehmen, sich zu fragen: Womit habe ich Spaß, was macht mich lebendig? Und sich von dem zu verabschieden, was uns überall vorgeturnt wird.“ Und das gelingt ihnen sehr gut!

Untenrum frei

Untenrum frei Margarete Stokowski
Untenrum frei

 

„Wir können nicht untenrum frei sein, wenn wir es obenrum nicht sind, und umgekehrt. Das „Untenrum“ ist der Sex und das „Obenrum“ unser Verständnis von uns selbst und den anderen – und beides gehört zusammen…“

Wenn wir über Feminismus nachdenken, kommen wir an Magarete Stokowski nicht vorbei. Ihr Buch „Untenrum Frei“ gehört ganz sicher zum Kanon der Bücher, die wir mal gelesen haben sollten.
Was hat sie zum Feminismus gebracht? Zuerst „die Erkenntnis, dass guter Sex nichts damit zu tun hat, dass man ein Skript nachspielt, bis der oder die andere kommt; dann die Feststellung, dass Vielfalt etwas Bereicherndes ist …“

Sehr offen schreibt sie über die Zeiten ihrer Kindheit und Jugend, wo sie das noch nicht wusste und über die Entwicklung ihres Bewusstseins und streift dabei die Bereiche, die noch so sehr im Argen liegen, selbst wenn da sicherlich schon einiges an Entwicklung passiert ist: Aufklärung im Alltag und in der Schule, die Rolle der Frau in den Medien als „Symbol für Sex schlechthin“, Sexismus in der Gesellschaft.
Im Vorwort ihres Buchs kündigt sie an:

„Um Selbstbestimmung wird es viel gehen. Denn Feminismus ist keine Bewegung, die alte Zwänge durch neue Zwänge ersetzen will oder alte Tabus durch neue. Es ist ein Kampf gegen Zwänge und für mehr freie, eigene Entscheidungen.“
Sie schreibt über die Zwänge der sexuellen Revolution und dass das nicht viel mit der Selbstbestimmung von Frauen zu tun hatte. Und natürlich thematisiert sie auch Gewalt und wie wichtig es ist darüber zu sprechen, wie Veränderungen passieren und ein Weg in die Selbstbestimmung aussehen kann.
„Indem wir öffentlich sprechen, machen wir uns nicht zu Opfern, im Gegenteil: wir ent-opfern uns. … Es ist ein Schritt aus der Ohnmacht heraus. Ein Schritt. Es kann nicht der letzte sein. Zu beschreiben, dass man einmal ein Opfer geworden ist, kann nicht der Schritt sein, indem man eine neue Identität annimmt – „die Verwundete“ -, in der man dann verbleibt. Damit würde man sich wieder unfrei machen …“

Tatsächlich scheint es heute ja notwendig den Feminismus zu verteidigen. Das tut sie:
„Wenn du glaubst, dass wir keinen Feminismus mehr brauchen, heißt das, du glaubst, das hier ist der Endzustand?“
Und sie macht immer wieder klar, dass nichts einfach von selbst passiert.
„… auf Dauer bringt weglächeln nichts. Mir ist kein einziger Fall in der Weltgeschichte bekannt, in dem ein schweigendes Lächeln eine Ungerechtigkeit abgeschafft hätte.“

Die einzige Passage, mit der wir so nicht einverstanden sind, ist diese:
„Bei mir stellt sich von Empfehlungen wie „Have orgasms“ ein gewisses Entsetzen ein, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass wir die Idee, Frauen müssten durch regelmäßige Stimulation bei Laune gehalten werden, um nicht hysterisch zu werden, eigentlich schon gekickt hatten.“
Denn für uns dient natürlich das Ausleben unserer Lust (wir übersetzen „Have orgasms“ einfach mal so frei und nicht orgasmusfixiert) nicht dazu uns bei Laune zu halten oder gar zu besänftigen, sondern es ist eine Möglichkeit uns den Raum zu nehmen, der unserer Lust zusteht, so wild und laut oder sanft und leise zu sein wie wir wollen. Nicht hysterisch und außer uns, sondern ganz in unserer Mitte und in unserer vollen Kraft!